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Leibhaftig

Leibhaftig

Titel: Leibhaftig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Filmstudios, du warst nicht dabei, unser Film sollte »vorgeführt und abgenommen« werden, das waren verräterische Worte, fand ich, aber Lothar beruhigte mich, wir saßen vor dem Studio auf einer Bank unter einer Birke, alles werde gutgehen, beteuerte Lothar, jetzt sei genau die Zeit für Filme wie diesen, das Publikum sei reif dafür, und höheren Orts habe augenblicklich niemand ein Interesse an Konflikten mit den Künstlern. Da entgleiste mein Herzschlag. Ob ich denn wirklich glaube, hörte ich Lothar sagen, er würde zulassen, daß sie uns in der Luft zerrissen, dabei lachte er, und ich sagte: Ich kann nicht mit in die Vorführung gehen. Sein Lachen brach ab. Er nahm es als Feigheit, als Mangel an Vertrauen in seine Standfestigkeit, er war verletzt, diesen Gesichtsausdruck kannte ich an ihm. Fühl mal meinen Puls, sagte ich, er tat es, widerwillig. Er erschrak und führte mich nun selber in die Baracke der Poliklinik, fürsorglich, wie er in solchen Momenten sein konnte. Zwei Empfindungen stritten in mir, das weiß ich noch, am besten behalte ich widersprüchlicheEmpfindungen im Gedächtnis: Es war mir gar nicht recht, daß ich hier vor aller Augen zusammenklappte und so meinen inneren Zustand verriet: Angst, mir selber wurde es jetzt erst klar. Dann war es mir aber auch wieder sehr recht, daß ich nun nicht in die Vorführung gehen konnte, selbstverständlich nicht, das wiederholte Lothar mehrmals. Wir schaffen das schon alleine, das wäre ja noch schöner. Tief in mir kicherte jemand mit mir über mich.
    Der Arzt läßt nicht nach, in sie zu dringen. Die Spritze hat nicht gewirkt, das war zu erwarten. Sie soll sich anstrengen, damit ihr das richtige Mittel einfällt. Du hast ihnen also gesagt, daß es häufiger solche Anfälle und daß es ein Mittel dagegen gibt, welches du nicht kennst, weil du dir die Namen von Medikamenten grundsätzlich nicht merken kannst. Denk doch nach, höre ich dich. Als ob du mir böse bist, daß ich so vergeßlich bin. Es muß ihr einfallen. Für diesen Notfall könnte ihr Gehirn den Generalstreik aussetzen. Sie stellt sich die Schachtel vor, in der das Medikament steckt. Sie ist blaßgrün, die Schrift darauf ist weiß. Jetzt kann sie den Namen ablesen. Flüsternd gibt sie ihn an den jungen Arzt weiter, der Notdienst hat, Notfalldienst, laut wiederholt er den Namen, fragend, sie senkt und öffnet bejahend die Lider. Der Arzt hat sich auf ihr Verständigungssystem eingestellt, er scheint jetzt mit ihr zufrieden zu sein, sie hörtihn der Schwester eine Weisung geben. – Haben wir es da? – Wir haben. – Dann ist es ja gut.
    Damals war ich auch elend, ein bißchen elend, mit heute nicht zu vergleichen, aber ich mußte nichts übertreiben, nichts simulieren, ich brauchte Lothars Arm, ich konnte nicht schneller gehen, ich hatte Mühe zu atmen, dabei fiel mir auf, daß seine Hilfeleistung mehr dienstlicher, weniger persönlicher Natur war, obwohl er mit betonter Ritterlichkeit die Situation überbrückte, die uns beiden peinlich war. Daß er genau das dienstlich besorgte, eine Spur wichtigtuerische Gesicht machte, das man bei solchen, glücklicherweise sehr seltenen Gelegenheiten von ihm erwarten konnte. Daß er in der Poliklinik dann genau jene zurückhaltende, doch unverkennbare Autorität hervorkehrte, mit genau jenen winzigen Einschüben von Schärfe, die zuerst die Schwester am Empfangsschalter, dann die Ärztin in Bewegung brachte. Habe ich dir je davon erzählt? Eigenartig, mir fiel das alles auf, und ich fragte mich, als ich mich auf die harte Pritsche legte, wann und wo Lothar das alles gelernt haben mochte. Als wir zusammen studierten, hatte er es noch nicht gekonnt. Ich gab mir Mühe, meine Schwäche zu überspielen, setzte sogar ein falsches Grinsen auf, obwohl ich ein wenig unruhig wurde, ein bißchen nur, eine immer noch bekömmliche Unruhe, die sich allerdings in den nächsten zwei Stunden etwas steigern sollte, das habe ich dir nie erzählt, aber den Namen»Todesangst« verdiente sie noch lange nicht, den die Ärztin ihr, in Frageform zwar, nahelegte: Keine Todesangst? Nein? – Nein. – Todesangst gehörte wohl obligatorisch zu den Symptomen von Tachykardie, ach so, das Wort kennen Sie gar nicht?
    Jetzt kennt sie es, braucht es aber nicht, und Todesangst hat sie immer noch nicht, vermutlich war sie dazu zu schwach. Daß auch diese Spritze keine Wirkung zeigt, beunruhigt sie nicht wirklich, sie ist ja ein Profi für diese Art Anfälle, ein Arzt hat es ihr neulich

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