Leiche in Sicht
Füßen zu entgleiten. In seiner Not griff er nach dem aufgeklappten
Klodeckel, der prompt zuschlug und ihn dabei zwischen die Augen traf. Er wand
sich vor Schmerzen.
Irgend etwas tropfte auf den Boden. Er
dachte, es seien Tränen, aber es war Blut. Er blickte in den Spiegel. Dort, wo
der Klodeckel ihn getroffen hatte, klaffte eine Wunde, aus der unaufhörlich
Blut rann. Sein neuer Pullover war ruiniert, das war sicher. Mr. Pringle
versuchte, die Blutung zu stoppen, aber seine geschwollenen Finger vermochten
das Taschentuch nicht zu halten. Er erinnerte sich, daß Mavis ihm Pflaster in
seine Segeltuchtasche gepackt hatte, und machte sich auf den Rückweg zur
Plicht. Überall, wo er sich festhielt, hinterließ er auf dem makellosen Teak
blutige Fingerabdrücke.
Beim Einsteigen in die Plicht stellte
er irritiert fest, daß seine rote Segeltuchtasche in einer weißen Flüssigkeit
schwamm. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, daß sich unter Elizabeths
Einkäufen offenbar auch Milch befunden hatte. Plötzlich begann die Yacht zu
krängen. Kenterte sie jeden Moment? Wenn er bloß noch vorher irgendwo pinkeln
könnte!
«Du lieber Himmel!» Matthew kam gebückt
durch das Luk, sorgsam darauf bedacht, nicht in den Milchsee zu treten. «Ich
sehe, du hast dich hier schon häuslich eingerichtet», sagte er sarkastisch.
«Mir sind ein paar kleinere
Mißgeschicke unterlaufen», gestand Mr. Pringle kleinlaut.
Während die beiden aufräumten und
saubermachten, mußte er sich in die Hundekoje verziehen. Er erfuhr, daß die
Yacht einem gewissen Frank gehöre, der in Kürze an Bord kommen wolle. «Ich bin
ja mal gespannt, ob er seine Yacht wiedererkennt», sagte Matthew in den Raum
hinein, so als führe er ein Selbstgespräch. Um ganz sicherzugehen, daß Mr.
Pringle nicht noch weiteren Schaden anrichtete, hatte ihm Elizabeth den
Reißverschluß seines Schlafsackes bis zum Kinn hochgezogen. Es kränkte ihn
nicht. Sie hatte ihm noch ein Glas Brandy gegeben, um seine Schmerzen zu
betäuben. Danach hätten sie ihm die Hand amputieren können — er hätte es nicht
gemerkt.
Mit gerührtem Lächeln sah er Elizabeth
zu, wie sie den Boden schrubbte. Ob sie und Matthew sich heute nacht in der
kleinen Kabine vorn lieben würden? Wenn Mavis an Bord wäre, so würden sie heute
nacht miteinander schlafen. Obwohl... vielleicht doch nicht. Das Rollen und
Stampfen der Yacht störte ihn indes nicht mehr. Wenn man sich erst einmal daran
gewöhnt hatte, wirkte es sogar beruhigend. Er schlief ein.
Kapitel 4
Sein erster Gedanke beim Aufwachen war,
daß er gestorben und in ein Leichentuch gewickelt sei. Dann stieg ihm der Duft
von gebratenen Eiern und Speck in die Nase. Offenbar war er im Paradies.
«Verdammt!»
Mr. Pringle öffnete vorsichtig ein
Auge. Der Erzengel Gabriel hatte eine überraschend wettergegerbte Haut und war
mit der Betrachtung von Mr. Pringles Hose beschäftigt, deren Anblick ihn ganz
offenbar anwiderte. Mr. Pringle machte das Auge schnell wieder zu, aber Matthew
hatte gesehen, daß er wach war.
«Guten Morgen, Onkel.» Und mit einer
Handbewegung: «Dies ist Frank. Am besten, du gehst zum Anziehen in die Plicht,
vorn ist nämlich Liz. Es gibt übrigens gleich Frühstück.»
Es war nicht so einfach, seinen
zitternden, gebrechlichen Körper aus dem Pyjama heraus- und in Hemd und
Unterhose hineinzubefördern. Außerdem ankerte die Yacht direkt neben einem
Zerstörer der Königlichen Marine, und als er in einer Ecke des Decks diskret
versuchte, in seine Kleidung zu steigen, beugten sich gleich ein halbes Dutzend
Matrosen über die Reling und boten ihm lautstark ihren Rat an. Als er endlich bei
seinem Teller mit Haferflocken saß, war er vor Ärger ganz rot im Gesicht. Hinzu
kam, daß die Yacht sich wieder launisch gebärdete. Kaum hatte er das
Marmeladenglas für einen Augenblick beiseite gestellt, war es plötzlich
verschwunden. Schweigend kratzte Frank die süße Masse von der Koje.
«Es wird heute ganz schön stürmisch
werden. Seid ihr sicher, daß ihr rauswollt?» erkundigte er sich grimmig.
«Aber ja, natürlich», sagte Matthew
optimistisch.
«Mittagessen in Cowes — oder?» Er sah
fragend in die Runde. Mr. Pringle nickte. Er wollte kein Spielverderber sein.
Seine Finger waren immer noch geschwollen und ähnelten Würstchen, aber
schließlich wurde die Fahrt auch seinetwegen unternommen, und außerdem kostete
sie ihn keinen Pfennig.
«Wann brechen wir auf?»
Aber so einfach war das nicht.
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