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Leonard Bernstein

Leonard Bernstein

Titel: Leonard Bernstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Cott
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habe ich Gott gefragt, wen ich nehmen soll, und Gott sagte: ›Nimm Bernstein.‹«
    Drei Monate später intervenierte der liebe Gott erneut, indem er seinem Auserwählten die ultimative, lebensentscheidende Gelegenheit verschaffte: Bernstein sollte sein Debüt als Dirigent der New Yorker Philharmoniker geben. Nur wenige Stunden vor der Aufführung wurde angekündigt, dass er am 14. November 1943 bei einem Sonntagnachmittagskonzert in der Carnegie Hall für den erkrankten Bruno Walter einspringen werde. Es wurde ein legendäres Konzert.
    Bernstein hatte die Nacht zuvor durchgefeiert, auf dem Klavier Boogie-Woogie gespielt und sich bei einem Empfang für die Sängerin Jennie Tourel, die er bei ihrem New Yorker Soloabend im Rathaus begleitet hatte, »aufgeführt wie ein Verrückter«, wie er selbst es ausdrückte. Zu ihrem Programm hatte die Erstaufführung von Bernsteins I Hate Music! gehört , einem Kinderliederzyklus für Sopran und Klavier. (Ein Kritiker bescheinigte diesem Werk später, »geistreich, lebendig und intelligent aufgebaut« zu sein.) Irgendwann zwischen vier Uhr nachts und Tagesanbruch war Bernstein nach Hause zurückgekehrt. Um neun Uhr morgens weckte ihn das Klingeln des Telefons. Verkatert nahm er ab, und der stellvertretende Leiter der Philharmoniker teilte ihm mit: »Sie müssen um drei Uhr dirigieren. Für eine Probe ist keine Zeit. Wir erwarten Sie um Viertel vor drei in der Garderobe.«
    Bernsteins Vater Sam, seine Mutter Jennie und sein zwölfjähriger Bruder Burton waren von Massachusetts angereist, um bei dem Liederabend dabei zu sein; sie wollten am Sonntagnachmittag wieder heimfahren. Bernstein rief sofort seine Eltern an und sagte ihnen, sie sollten die Rückfahrt verschieben, weil Bruno Walter Grippe habe und er ihn bei der landesweit im Radio ausgestrahlten Matinee vertreten werde. Und sie sollten ihm Glück wünschen.
    Oy gevalt! , lautete die Reaktion der Eltern.
    Völlig übernächtigt betrat Bernstein die Carnegie-Apotheke gegenüber der Carnegie Hall, wo er üblicherweise auch seinen Morgenkaffee trank. Der Apotheker, der ihn kannte, sagte: »Sie sehen ja furchtbar aus, was ist los?« Bernstein sagte, dass er nachmittags dirigieren müsse, und der Apotheker gab ihm wie Lewis Carrolls weißes Kaninchen zwei Tabletten, ein Schlafmittel und ein Amphetamin: »Die eine wird Sie beruhigen, die andere gibt Ihnen Energie.« Jahre später erinnert sich Bernstein in dem 1978 gedrehten Dokumentarfilm Reflections von Peter Rosen an die Aufführung: »Da stand ich also hinter der Bühne. Zitternd, mit diesen beiden kleinen Pillen in der Tasche … ich nahm sie heraus, betrachtete sie und sagte: ›Ich werde das allein durchziehen. Ich nehme keine Tabletten. Ich will keine Hilfe, außer von Gott‹, und warf sie quer durch den Raum und stiefelte hinaus, und das ist das Letzte, woran ich mich erinnere, bis zum Ende des Konzerts, als ich das ganze Publikum vor mir stehen sah, klatschend und jubelnd. Aber von dem Augenblick, als ich die Bühne betrat, bis zum letzten Abgang erinnere ich mich an nichts. Ich kann Ihnen nichts erzählen. Es war alles wie ein Traum.«
    Jacques Margolies gehörte zu den Streichern der Philharmoniker, die an diesem Nachmittag spielten. Er berichtete der Bernstein-Biografin Meryle Secrest: »Wir waren ein paar Minuten zu früh da. Ich war jung, aber das Orchester war wirklich ein erprobtes Team. Es war eigentlich so geplant, dass Bernstein uns folgen sollte, aber am Ende sah es anders aus. Es ist unglaublich, dass ein junger Mann so eine Musik erschaffen konnte. Da waren Musiker von fünfzig, sechzig Jahren mit langer Erfahrung. Und dann kommt diese kleine Rotznase rein und macht das Konzert zu etwas nie Dagewesenem. Wir waren ja ganz auf Bruno Walter eingestellt, wir hatten es mit ihm geprobt und bereits aufgeführt, aber was dann kam, hatte nichts mehr mit Bruno Walter zu tun. Am Ende stand das Orchester auf und applaudierte. Wir waren überwältigt. Dieser Mann war der außergewöhnlichste Musiker, den ich je getroffen habe.«
    Das erste Werk dieses historischen Debütprogramms war Schumanns Manfred -Ouvertüre, ein Stück, das auf einem Gedicht von Byron basiert. Leonard Bernstein führte tatsächlich ein Leben von Byron’scher Intensität – leidenschaftlich, polyamourös, riskant, jenseits aller Konventionen, unaufhörlich produktiv und in jeder Hinsicht eindrucksvoll. Von Anfang an dirigierte er so extravagant und mit solch rauschhafter Begeisterung, dass einige

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