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Leonard Bernstein

Leonard Bernstein

Titel: Leonard Bernstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Cott
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Tribute to Teachers« [Eine Hommage an die Lehrer], »ist wahrscheinlich der vornehmste Beruf der Welt – der selbstloseste, schwierigste und ehrenvollste. Und der unterschätzteste, unterbezahlteste und am wenigsten anerkannte Beruf der Welt.« Bei unserem Gespräch erinnerte er mich daran, dass das Wort education vom lateinischen educere stammt, »etwas herausziehen, was innerlich vorhanden ist«, und er fügte hinzu: »Ich kann es zwar nicht beweisen, aber ich weiß tief im Innern, dass jeder Mensch mit der Liebe zum Lernen auf die Welt gekommen ist. Ausnahmslos jedes kleine Kind untersucht und beobachtet aufmerksam seine Zehen und Finger, und wenn es seine Stimme entdeckt, ist das sicher einer der wunderbarsten Momente seines ganzen Lebens.«
    Als Enkel und Urenkel chassidischer Rabbiner sprach Bernstein von »diesem fast rabbinischen Instinkt«, mit dem er sich dem Unterrichten, Erklären und Formulieren näherte, wofür er »in der elektronischen Welt des Fernsehens ein echtes Paradies fand«. Die Young People’s Concerts der New Yorker Philharmoniker hatten bereits 1924 unter der Leitung des Dirigenten Ernest Schelling begonnen und waren damit weltweit die traditionsreichste Konzertreihe für die ganze Familie. Am 18. Januar 1958 dann präsentierte Leonard Bernstein die allererste Fernsehausstrahlung eines dieser Konzerte mit dem Thema: »What does music mean?« [Was bedeutet Musik?], und in den darauffolgenden vierzehn Jahren sollte er dreiundfünfzig Konzerte für das Fernsehen aufnehmen, Sendungen, die in über vierzig Länder übertragen wurden.
    In dieser Zeit erhielt Bernstein Tausende von Briefen von seinen dankbaren jungen Zuhörern. Vielleicht die ungewöhnlichste Reaktion auf eine seiner Sendungen konnte man 1960 bei einer Tournee des Orchesters in Denver, Colorado, beobachten. Eines Nachmittags, als Bernstein mit Carlos Moseley, dem stellvertretenden Orchesterleiter, in einem Park spazieren ging, kam ein Junge von vier oder fünf Jahren auf ihn zu und versetzte ihm einen Schlag mit seiner kleinen Faust. »Lenny war absolut baff, und ich auch«, erzählte Moseley später. »Der kleine Junge sagte: ›Du hast mir nicht Gute Nacht gesagt!‹ Er sagte es noch einmal, bis Lenny ausrief: ›Herrje, beim letzten Kinderkonzert hatten wir überzogen, und ich hatte keine Zeit mehr, um mich wie üblich zu verabschieden.‹ Und der Junge sagte: ›Du hast über Mahler geredet!‹ Dass dieses Kind enttäuscht war, weil Lenny die Sendung nicht beendet hatte, wie es sich gehörte, aber den Namen Mahler im Gedächtnis behalten hatte, gefiel uns beiden, Lenny und mir, über die Maßen.«
    Ob er Kinder oder Erwachsene unterrichtete, Bernstein begriff, dass Liebe und Lernen untrennbar zusammenhängen, dass echtes Wissen aus dem Verlangen nach Wissen resultiert und dass Musik selbst – die Begegnung eines lebendigen Schöpfers mit einem kreativen Zuhörer – zu den wirkungsvollsten Mitteln des Unterrichtens gehört. Als Dirigent erlebte er die Verbindung zu seinem Orchester als eine Art Liebesbeziehung. Am Ende seiner Sendung »The Art of Conducting« [Die Kunst des Dirigierens] in der Sendereihe Omnibus sagte er 1955:
    »Der Dirigent muss sein Orchester nicht nur zum Spielen bringen. Er muss den Musikern auch noch den Wunsch und das Bedürfnis zu spielen einflößen … das erreicht er aber nicht dadurch, dass er ihnen wie ein Diktator seinen Willen aufzwingt. Eher muss er seine Gefühle so ausstrahlen, dass sie auch noch den letzten Mann in der zweiten Reihe der Geiger erreichen. Wenn das eintritt – wenn hundert Menschen genau und zur gleichen Zeit seine Gefühle teilen, wenn sie wie ein Mann jedem Steigen und Fallen, jeder Wendung und jeder inneren Bewegung folgen –, dann entsteht eine Gemeinschaft des Fühlens, die nicht ihresgleichen hat. Unter allen menschlichen Beziehungen, die ich kenne, ist es diese, die der Liebe am nächsten kommt.« 2
    Bernsteins langjähriger Manager Harry Kraut erzählte einmal eine herzergreifende kleine Geschichte, die die unauflösliche, stürmische und tiefe Verbindung zwischen Musik und Liebe in Leonard Bernsteins Leben illustriert. Der Dirigent hatte gerade eine leidenschaftliche Aufführung von Beethovens gewaltiger Missa Solemnis in Tanglewood geleitet. Danach fuhr Kraut mit Bernstein in dessen Wagen nach Hause, und Bernstein erzählte mit derselben Leidenschaft und immer größer werdender Erregung von einem jungen Mann, den er in San Francisco kennengelernt und in den er

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