Leonardos Drachen
vorgetragen?“
Ser Piero nickte. „Ja, das habe ich. Der Stadtherr hat aber noch nicht entschieden, ob er sich darauf einlassen soll. Er hasst Verräter.“
„Selbst dann, wenn sie ihm nützen und seine Feinde verraten?“
„Dann besonders, Leonardo. Denn er ist der Auffassung, dass man sich auf solche Leute niemals verlassen darf. Aber vielleicht kann ich ihn noch davon überzeugen, doch darauf einzugehen – so wie es sein Vorgänger, der große Cosimo getan hätte. Aber diesen Vergleich hört der jetzige Herr des Hauses Medici nicht so gerne …“
Sturzflug
A m Sonntag war es endlich so weit. Es war alles bereit für den ersten Drachenflug. Clarissa hatte sich davon überzeugen lassen, ihn doch zu den Anhöhen zu begleiten, nachdem sie zuerst sehr skeptisch gewesen war. Aber je länger Leonardo nun schon an seinen Drachenmodellen arbeitete, desto neugieriger wurde auch sie darauf, ob es tatsächlich möglich war, dass diese Ungetüme aus Papier fliegen konnten. Leonardo hatte gleich zwei Drachen gefertigt. Aus der Werkstatt des Meisters Andrea hatte er überdies eine Rolle mitgenommen, auf der ein sehr festes Garn aufgewickelt war. Normalerweise benutzte Meister Andrea das Garn, um Leinwände zu befestigen. Aber da er die Rollen immer wieder verlegte und sich dann nicht erinnerte, wo er sie gelassen hatte, dachte Leonardo, dass er vielleicht gar nicht merkte, wenn sie nicht mehr da war.
Sie verließen im Morgengrauen das Haus. Leonardos Vater hatte am heiligen Sonntag einen Termin mit einem guten alten Kunden, für den er schon lange arbeitete. Es war ein alter Kaufmann, der inzwischen zu gebrechlich war, um aus dem Haus gehen zu können. Er brauchte Ser Piero, um sein Testament zu verfassen, aber da dieser inzwischen so viel für die Medici-Familiezu tun hatte, blieb nur der Sonntag, um dies zu erledigen.
Melina wiederum war so früh noch nicht wach.
„Sie wird sich wundern, wenn wir nicht da sind“, meinte Clarissa.
„Dann werden wir ihr sagen, dass wir zum Palast gegangen sind“, schlug Leonardo vor. „Piero de’ Medici würde es mir sicher erlauben, wenn ich jemanden mitbrächte. Außerdem werden wir nicht lange wegbleiben.“
Leonardo ließ es sich nicht nehmen, beide Drachen selbst zu tragen. Clarissa musste ein Bündel über die Schulter nehmen, das Leonardo noch am Vorabend in ein Leinentuch geschnürt hatte, das wohl eigentlich als Tischdecke gedacht war. Darin befanden sich außer der Garnrolle noch ein paar andere nützliche Dinge. So hatte Leonardo unter anderem reichlich Papier mitgenommen. Außerdem ein kleines Gefäß mit einem zähflüssigen Klebstoff, den Leonardo aus verschiedenen Harzen zusammengemengt hatte. Eine ganze Weile war Leonardo nämlich der Frage nachgegangen, wie eine Substanz beschaffen sein müsste, die alles mit allem verbinden und festkleben könnte. Wirklich gelöst hatte er dieses Rätsel noch nicht, aber um Papier zu verkleben, reichte sein Gemisch allemal. Es konnte ja passieren, dass die Drachen bei den Flugversuchen zu Schaden kamen oder dass etwas an den Lenkschwänzen verändert werden musste. Sie bestanden aus Schnüren, an denen aufgefächerte Papierstücke hingen.
Zu allem Überfluss hatte Leonardo die Drachen auch angemalt. Sie hatten Augen und sogar Zähne. Auf denAbbildungen aus Cipanku war das auch so gemacht worden, und Leonardo fand, dass die Drachen dadurch einfach würdiger aussahen.
„Ich hoffe nur, dass wir den ganzen anstrengenden Weg nicht umsonst machen!“, meinte Clarissa, als sie bereits die Anhöhen erreicht hatten.
„Einen anstrengenden Weg nennst du das? Ich bin früher schon zu Fuß von Vinci nach Florenz und wieder zurück gelaufen! Wenn ich zum Beispiel zusammen mit meinem Freund Carlo den Karren seines Vaters begleitet habe, der stets völlig überladen war. Wenn wir uns da auch noch draufgesetzt hätten, dann wäre das zu viel für den Esel gewesen, da sind wir eben gelaufen. Dagegen ist das hier doch ein Katzensprung!“
„Ja, gib nur weiter an“, ächzte Clarissa. „Aber wenn deine Drachen am Boden kleben bleiben, dann werde ich ganz laut lachen!“
„Wenn du nicht genauso gespannt wärst wie ich, dann wärst du doch gar nicht mitgekommen“, behauptete Leonardo.
S ie hatten schließlich den Kamm der Anhöhen erreicht. Es war gar nicht weit von jener Stelle entfernt, an der Leonardo zum ersten Mal den Hinterhalt der Banditen bemerkt hatte.
Leonardo ließ kurz den Blick schweifen. Vielleicht half ihm
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