Leonardos Drachen
Überfall stattfand“, stellte Leonardo fest. „Der Fluss – es steht ja auch Arno dran. Und der Weg, den Herr de’ Medici und sein Gefolge nehmen wollten, ist auch eingezeichnet.“
„Und es steht der Tag und das Datum dabei …“
„Der Stadtherr wird zwischen der vierten und fünften Stunde am morgigen Tag mit seinem Gefolge die Straße nach Empoli reiten“, las Leonardo die sehr klein geschriebenen Zeilen vor, die neben der Zeichnung standen.
„Das war eine Botschaft des Auftraggebers“, stellte Clarissa fest. „Und es gab offenbar tatsächlich einen Verräter im Palast, der genau wusste, was der Stadtherr wann geplant hatte.“
„Den wird man wohl nie finden. Dazu kommen zu viele infrage“, meinte Leonardo. „Das ist eben der Nachteil, wenn man sich von so vielen Personen bedienen lässt, wie es bei unserem Stadtherrn nun mal der Fall ist. Dann kann man keine Geheimnisse mehr bewahren.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Aber ich wette, dass man diese Botschaft mit ein paar Schriftstücken vergleichen kann, die Immanuele de’ Sarti mit eigener Hand geschrieben hat.“
„Du meinst, dann hätte man einen Beweis, dass er dahintersteckt?“
„Das ist sehr wahrscheinlich!“
Rückkehr
L eonardo und Clarissa erreichten Florenz noch gerade rechtzeitig, bevor wie jeden Abend die Stadttore geschlossen wurden.
Zu Hause hatte sich Melina schon große Sorgen gemacht. Ser Piero war, wie sich herausstellte, gar nicht da. Ein Kutscher der Medici hatte ihn selbst am Sonntag noch in den Palast geholt, nachdem er von seinem Klienten zurückgekehrt war, für den er das Testament verfassen sollte.
„Dann muss etwas sehr Wichtiges passiert sein“, stellte Leonardo fest.
„Aber ihr beide wollt mir jetzt nicht etwa erzählen, ihr wärt auch im Palast gewesen und hättet in der Bibliothek gestöbert, oder?“, meinte Melina.
Leonardo und Clarissa wechselten einen kurzen Blick. „Nein“, sagte das Mädchen schließlich. „Wir erzählen dir genau, was geschehen ist. Aber es wäre gut, wenn du uns weder unterbrichst noch dich aufregst!“
Melina seufzte. „Mich kann heute kaum noch etwas aus der Fassung bringen“, sagte sie. „Denn kurz bevor dein Vater von dem Kutscher der Medici abgeholt wurde, tauchte dieser unheimliche Kerl auf, der nach dem Fest auf uns gewartet hatte. Bei Tageslicht konnte man ihn wenigstens richtig sehen.“
„Salvatore Vespucci!“, entfuhr es Leonardo.
Melina nickte. „Er hat sich eine Weile mit deinem Vater unter vier Augen unterhalten und dann sind beide zum Palast gefahren.“
„Beide?“, vergewisserte sich Leonardo.
A ls Ser Piero später aus dem Palast zurückkehrte, hörte auch er sich Leonardos Geschichte geduldig an und ließ sich auch das Blatt mit der Skizze und den Hinweisen zeigen. Er nahm es an sich, faltete es zusammen und steckte es ein. „Das werde ich dem Stadtherren zeigen“, erklärte er. „Und was Immanuele de’ Sarti betrifft …“
„Er wird sicher in den Kerker kommen“, meinte Leonardo.
„Nein“, widersprach Ser Piero.
„Aber … Ist er vielleicht geflohen?“
„Man hat sich unterdessen zwischen den ehrenwerten Familien geeinigt, Leonardo – so wie es früher schon immer hier geregelt wurde. Dies ist ja nicht der erste Versuch eines Umsturzes.“
„Aber …“ Leonardo runzelte die Stirn. „Das verstehe ich nicht! Immanuele de’ Sarti hat den Auftrag gegeben, den Stadtherrn zu ermorden. Und diese Skizze kann es beweisen, wenn man die Schrift von Herrn de’ Sarti mit der auf der Skizze vergleicht!“
„Darum wird der Stadtherr diese Skizze sicher auch gut aufbewahren. So kann er sicher sein, dass sich die Familie de’ Sarti nie wieder gegen ihn erheben wird, solange Immanuele lebt“, erklärte Ser Piero. „Darüber wird Piero de’ Medici sehr erfreut sein und sich dir undClarissa gegenüber dankbar erweisen – da bin ich mir sicher!“
„Und – wie hat man sich geeinigt, wie du das nennst?“, fragte Leonardo, noch immer völlig irritiert.
„Die Familie Vespucci steht jetzt unter dem Schutz der Medici und die anderen Familien werden das zulassen und Herrn Vespucci nicht bedrohen, weil er sie verraten hat. Es war nämlich nicht nur die Familie de’ Sarti, die den Stadtherrn loswerden wollte, sondern auch die Pazzi und die Tardelli.“
„Das hat Salvatore Vespucci verraten?“, schloss Leonardo.
„Ja. Er gehörte ursprünglich selbst zu den Verschwörern. Aber die treibende Kraft war
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