Léonide (German Edition)
vergessen, wann sein Dasein begonnen hat, er weiß nur, dass es niemals enden wird. Manchmal erschüttert ihn der Gedanke – das Einzige, was er überhaupt fühlt, Erschütterung. Längst hat er die Gefühle, die den Menschen so wichtig sind, auf der langen Strecke zw i schen Jugend und Tod zurückgelassen. Dadurch ist das, was er tut, viel einfacher. Einfacher und dennoch unerträglich.
Er kennt die Ewigkeit inzwischen gut genug, hat ihr sogar einen Namen gegeben. Er nährt sie, verharrt in ihrer Uma r mung, die immer gleich ist und so ermüdend. Dafür füttert sie ihn mit den Ängsten der Menschen, deren Seelen er raubt. Am Ende, wenn er sie ganz in sich aufnimmt, bleibt ihnen nur der Tod. Dann – und nur dann – fühlt er so etwas wie Leben in sich. Es ist das Einzige auf der Welt, was ihm Halt gibt, auch wenn es ihn dazu verdammt, nie ins Totenreich hinübergehen zu können. Er hat eine Aufgabe, die er erfüllen muss, bis in alle Ewigkeit. So wird es weitergehen; er glaubt inzwischen nicht mehr daran, dass jemand kommen und ihn ablösen wird.
Er wandelt über eine Ebene aus Asche. Am Wegrand sieht er die Menschen, deren Leben er um seiner selbst willen ausg e löscht hat. Der Hunger nach ihrem Licht, das er in sich selbst nicht finden kann, ist unstillbar.
Schreie Toter und Sterbender, ununterbrochen. Flüstern und heisere Geisterstimmen, Münder und Augen wie schwarze Höhlen inmitten verfallener Gesichter. Sie sind Ruinen, in d e nen einst Leben gesteckt hat. Nun mahnen sie am Rande se i nes Bewusstseins an seine Taten, daran, dass Blut an seinen Händen klebt, für immer.
Es wird nicht aufhören.
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