Lesebuch für Katzenfreunde
Betonblock hielt, der sie an einen Bunker erinnerte. Er war eintönig grau bis auf eine rote Schrift: »Strahlungsforschungs-Institut – Zutritt für Unberechtigte streng verboten«. Darunter hatte ein Humorist gekritzelt: »Ihr, die ihr hier eintretet, laßt alle Hoffnung fahren.«
Dr. Swan schaute von seinem ordentlich aufgeräumten Pult zu seiner neuen technischen Assistentin auf. Er war auf eine ältere Frau gefaßt gewesen. Ohne Brillengläser sah sie recht gut aus, besonders mit diesem langen weichen Haar. Sie würde sicher angenehmer sein als Davidson, dessen Pensionierung er keineswegs bedauerte. Vielleicht war es doch nicht so schlecht, an dieser Stelle eine Frau zu haben. Er erhob sich, unsicher, ob ihr dies gefallen oder mißfallen würde.
Isobel sah einen jüngeren Mann mit zurückweichender Haarlinie, der sich ungeschickt hinter seinem Schreibtisch erhob. Sie hatte jemand Älteren erwartet, jemand wie ein Professor, und sie errötete beinahe, als er ihr die Hand gab und sagte: »Willkommen in unserem kleinen Team. Möchten Sie Tee nach Ihrer langen Fahrt?«
»Wenn es Ihnen keine Umstände macht.«
»Zucker?«
»Nein, danke.«
»Biskuits?«
»Ja, danke.«
»Bitte.«
Es folgte eine lange Pause.
»Sie haben also im Crystal Palace gearbeitet. Da wird interessante Forschung betrieben.«
»Ja. Ich arbeitete mit Hunden im Genetik-Laboratorium.«
»Hier haben wir Katzen…«
»Oh, gut. Ich liebe Katzen…«
Wie dumm von ihr! Die Worte waren ihr entfahren, bevor sie sie zurückhalten konnte. Als gute Laboratoriums-Technikerin durfte sie für ihre Versuchstiere keine Gefühle haben. Sentimentale standen im Verdacht, plötzlich Gewissensnöte zu bekommen und den Tierschutzorganisationen Propagandamaterial zu liefern. Dann – es war wie ein Wunder – lächelte Dr. Swan und sagte: »Ich auch. Meine Mutter züchtet Burmakatzen.«
Das Teetablett wurde von einer Ordonnanz in Armeeuniform hereingetragen. Isobel sah erstaunt aus, und Dr. Swan erklärte: »Hier haben wir militärische Sicherheitsvorkehrungen Tag und Nacht. Und da wir vom Hauptblock etwas entfernt sind, haben wir hier eine Armeekantine für uns. Sie werden sich rasch an die Vorsichtsmaßnahmen und an die Isolation gewöhnen – wenigstens werden wir nicht von Protestgruppen belästigt. Unser Institut ist eins der bestgehüteten Geheimnisse seit Pearl Harbour…« Er lachte. »Deshalb wurde Ihre Eignung so sorgfältig abgeklärt.«
»Ich habe immer noch keine Ahnung, was hier geschieht.«
»Das hatte ich auch nicht, bis ich von Harwell effektiv hierhergebracht wurde«, sagte Dr. Swan und bot ihr Schokoladenkekse an. »Das Experiment wird schon seit einer Anzahl von Jahren verfolgt. Es fing 1983 an. Ich bin seit fünf Jahren hier und habe immer noch das Gefühl, es habe manchmal Science-fiction-Charakter.«
Er lächelte sie kurz an, denn er wußte, daß er nicht den Anschein eines bestandenen Projektleiters erweckte, eines Wissenschaftlers auf seltenem, geheimem Gebiet.
»Wenn Sie nicht zu müde sind, skizziere ich für Sie, was wir hier versuchen, und dann können Sie ins Dorf gehen und sich bei Mrs. Barwick einquartieren. Morgen zeigen wir Ihnen den Bestrahlungsraum und geben Ihnen einen Begriff von unserer täglichen Tätigkeit.«
Sie neigte den Kopf auf eine Art, die er recht anziehend fand. Er preßte die Fingerspitzen zusammen und begann – wie er hoffte, entspannt – seinen Vortrag.
»Kennen Sie die schottische Mythologie? Was wir hier tun, nennt sich Operation Taghairn. Ein Kelte im Militärdepartement hat offenbar Humor. Taghairn war ein ziemlich scheußliches Zauberritual, das in Schottland im Mittelalter und sogar noch später durchgeführt wurde. Ich glaube, das letzte Auftreten ist im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts belegt. Man röstete lebendige Katzen auf einem Spieß, bis ihr Leiden eine Meisterkatze herbeirief, die dann einen Wunsch gewährte, damit das Ritual abgebrochen wurde.«
»Wollen Sie damit sagen, wir rösten Katzen?« rief Isobel aus.
Dr. Swan lachte. Auf einem Notizblock zeichnete er eine Katze, die aus einem großen O und drei kleinen bestand, und fügte ein S als Schwanz hinzu. Das Projekt schien so unwahrscheinlich, daß er es stets schwierig fand, es zu beschreiben.
»Wir kochen keine Katzen, aber wir sind auf der Spur einer sehr großen Entdeckung«, fuhr er fort. »Zwei Dinge passierten 1982, die zu unserem Projekt führten. Das erste war, daß ein deutscher Wissenschaftler die
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