Lesebuch für Katzenfreunde
Forschungsinstitut kam, sah sie den diensttuenden Wachmann beim Parkplatz. Auch er war geblendet worden, als die SS 20 explodierte, und er torkelte jetzt im Kreis herum und feuerte aus seiner Pistole.
Isobel wartete geduldig, bis sie leergeschossen war, und ging zum Gebäude hinüber. Als sie eintreten wollte, bemerkte sie, daß alle Farbe aus der Welt hinweggebleicht war. Im Norden hatte eine Rakete die Atom-U-Bootbasis am Holy Loch zerstört.
Drinnen taumelte sie durch den Gang, ohne auf das Blut zu achten, das ihre Beine hinunterrann und auf dem spiegelglatten Linoleum eine Spur hinterließ.
Sie preßte sich gegen die Wand, als eine Gruppe von Kollegen, die von der Strahlung noch nicht berührt waren, auf sie zueilte.
»O Gott, schaut ihre Haut an!« schrie ein Mädchen. Dann drängten sie sich schweigend an ihr vorbei, sich an die gegenüberliegende Wand pressend, als sei sie etwas Böses.
Wieder allein, schaffte sie es bis zur Luftschleuse und preßte die Knöpfe, die die große Tür öffneten. Warntöne schrillten auf, und auf Tonband gab eine Stimme Rat, was im unwahrscheinlichen Fall eines Atomangriffs zu tun sei.
Die Katzen schauten sie neugierig an, als sie in ihren Raum trat – noch nie hatten sie hier einen gewöhnlichen Menschen ohne Schutzanzug gesehen.
Strauß krümmte den Rücken und richtete sich auf seine Hinterbeine auf. Die Krallen seiner Vorderpfoten hakten sich in das Gewebe ihres Kleides ein.
Tiggy stellte sich neben ihn; sie zeigte deutlich ihre Freude, während die Kätzchen mit ihrer Filzmaus spielten.
»Strauß, komm«, hörte sich Isobel murmeln, obwohl jetzt Wellen von Übelkeit über ihr zusammenschlugen. »Komm, komm.« Aber die Tiere zögerten.
Sie versuchte, Strauß aufzuheben, aber er sprang zurück. Da nahm sie die Kätzchen auf und ging mit ihnen durch die Luftschleuse, wo ganze Reihen von Warnlichtern aufgeregt blinkten. Die beiden Katzen folgten ihr; Strauß hielt die Nase dicht am Boden, als ihn die Gerüche der Außenwelt trafen.
Aus Furcht, sie könnte das Hauptportal dem endlosen Korridor entlang nicht mehr erreichen, suchte sie einen Raum auf, in dem sie einen Notausgang wußte. Hier setzte sie ihre zappelnde Last ab und nahm ihre schwindenden Kräfte zusammen, um das Ausgangsrad zu drehen. Die Türe war nur angelehnt, als die Schockwelle der ersten Bombe die Bäume niedergelegt hatte wie eine Sichel die Ähren eines Kornfelds. Die Südwand des Instituts hatte sich in Staub aufgelöst und auf dem Parkplatz hatten sich die Wagen viele Male überschlagen.
Aus den Lautsprechern kam eine blecherne Stimme ab Tonband; sie wurde beinahe vom röhrenden Hurrikan übertönt, als sie stets aufs neue verkündete: »Alles Personal soll sich ruhig an die vorbestimmten Sammlungspunkte begeben… Alles Personal…«
Aber es war kein Personal übrig, das gehorchen konnte. Das Schrillen des heißen Windes erstarb, und Stille senkte sich hernieder. Im Süden glomm unheimlich England, im Norden Schottland.
Einen Augenblick lang beschnupperten die Katzen die tote Frau. Dann schritt mit hocherhobenem Schwanz Strauß hinaus, gefolgt von Tiggy und den Jungen, um sein Erbe anzutreten: die Welt.
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Quellenverzeichnis
joy smith aiken: » Die Befreiung«, Kapitel 15 aus: ›Solos Reise‹. Deutsch von Manfred Ohl und J. Hans Sartorius, © 1987 Joy Smith Aiken. Für die deutsche Ausgabe: © 1990 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
cleveland amOry: » Katzen-Allergie«, aus: ›Die Katze namens Eisbär. Bezaubernde Geschichten um eine besondere Katze‹, aus dem Amerikanischen von Mechthild Sandberg, © Deutsche Rechte 1991 by Scherz Verlag
annette berr: » Katze«, aus: ›Nachts sind alle Katzen breit‹. Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1988; Copyright © 1986 by Verlag am Galgenberg, Hamburg
rita mae brown & sneaky pie brown: » Fang mich, wenn du kannst!«, aus: ›Schade, daß du nicht tot bist. Ein Fall für Mrs. Murphy‹, aus dem Englischen von Margarete Längsfeld, Rowohlt Verlag, Reinbek 1991
art buchwald: » Eine Zierde seiner Rasse«, aus: ›Irvings größte Wonne‹, aus dem Englischen von Wolfgang Ebert, Herbig 1977, © by F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung
karel Č apek: » Die unsterbliche Katze«, aus: ›Katzengeschichten‹, herausgegeben von Jutta Freund, übersetzt von Walter Matos, Wien, Stuttgart 1960
raymond chandler: » Schwarze Schönheit«, aus: ›Die simple Kunst des Mordes. Briefe, Essays, Notizen, eine
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