Lesereise Malediven
einundvierzig Meter hohen Minarett. Die Moschee ist erst seit 1984 das spirituelle Zentrum Mal é s. Die alte Freitagsmoschee Hukuru Miskiiy und ihr Minarett liegen – wie eigentlich alles auf der Hauptstadtinsel – nur wenige Schritte entfernt. Klein und unauffällig ist dieses Bauwerk, das Sultan Iskander I. in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts errichten ließ, im Vergleich zum neuen Islamischen Zentrum. Der Sultan selbst konnte sich nicht lange an seiner Moschee erfreuen: 1687 wurde er von einer Sklavin aus seinem Harem vergiftet, die fortan lieber selbst das Zepter schwang.
Wie aus der Zeit gefallen wirkt der benachbarte Friedhof. Hinter seinen niedrigen Mauern erheben sich die verwitterten Grabsteine von Mitgliedern vergangener Sultansdynastien. Oben abgerundete Steine stehen auf den Gräbern von Frauen, spitz zulaufende auf denen von männlichen Mitgliedern des Hofes. Der Friedhof der untergegangenen Herrscher ist ein eigenartiger Anblick inmitten dieser lärmenden, kleinen, betriebigen, ungeheuer modern wirkenden Hauptstadt mit ihren Werbetafeln und dem unaufhörlichen Motorengeknatter. Es ist, als müsste sie sich selbst an eine Vergangenheit erinnern, die ihr viel ferner gerückt ist, als die Zahl der verflossenen Jahre es vermuten ließ.
Mr. Didi zeigt seinen Gästen den Medhu-Ziyaaraiy-Schrein, der an Abu al-Barakat Yusuf al-Barbari erinnert, eine der wichtigsten Figuren in der Geschichte der Malediven. Er war es, der die Insulaner im Jahr 1153 zum Islam bekehrte.
Ein Sprung in die Gegenwart führt zu Mohamed Nasheeds nur wenige Schritte vom Meer entfernten Regierungssitz – deutlich bescheidener als der Präsidentenpalast seines Vorgängers, der nun Bibliothek ist – und seiner Residenz. Farbenfroh liegt sie in einem von tropischen Blumen überwucherten Garten. Mr. Didi nutzt die Gelegenheit, seinen Gefühlen Luft zu machen. »Die Fassade ist schön, die Rückseite schmutzig«, schimpft er und meint nicht die schmucke Villa des Präsidenten. Nasheed erzähle Lügen, räsoniert er, und werde eine Menge Geld brauchen, um wiedergewählt zu werden.
Seine Unmutsäußerungen beweisen nicht zuletzt die Funktionstüchtigkeit der jungen Demokratie. Über Nasheeds Amtsvorgänger hätte Mr. Didi sich vor Wildfremden weniger frei geäußert. Zugleich zeigen sie, wie gespalten das Land ist. Gayoom war nicht unbeliebt, Nasheed muss seine Versprechen erst noch erfüllen. Weil das dauert und viele Malediver vor allem wegen steigender Lebensmittelpreise finanzielle Not leiden, hat die Hauptstadt mittlerweile sogar Demonstrationen erlebt.
Mr. Didi, der vom Addu-Atoll stammt, aber die vergangenen fünfunddreißig Jahre auf Mal é verbracht hat, zeigt den Gästen den Gerichtshof und das Justizministerium. Beides befindet sich im ehemaligen Präsidentenpalast. Nasheed sei der aber zu erinnerungsschwer und zu groß gewesen. »Wir sind ein kleines Land, aber was Scheidungen angeht, sind wie die Nummer eins in der Welt«, verkündet er nicht ohne Stolz und erläutert die Konsequenzen der vielen affektischen Scheidungen: Der Exehemann muss seiner Frau Unterhalt zahlen, bis eine Schwangerschaft seiner Geschiedenen auszuschließen ist. Für die Kinder muss er aufkommen, bis sie achtzehn Jahre alt sind. Gibt es keine Kinder, zahlt der Exmann nur drei Monate Unterhalt – bis eine Schwangerschaft auszuschließen ist.
Auch Didi ist in zweiter Ehe verheiratet. Auf Mal é will er nur noch bleiben, bis seine Tochter ihr Studium abgeschlossen hat. Auf Feydhoo hat er nicht nur Verwandte, sondern auch ein Haus. Er freut sich schon darauf, wieder fischen zu gehen und abends am Strand zu grillen. »Hier auf Mal é kann man nicht viel machen.« Einen Strand gibt es zwar, doch der ist künstlich aufgeschüttet und mit den Stränden der anderen Inseln kaum zu vergleichen – ebenso wenig wie die Atmosphäre auf Mal é , die gegensätzlicher zum beschaulichen Leben auf den übrigen bewohnten Inseln kaum sein könnte. Obwohl Mal é sich nicht nur wegen der übersichtlichen Größe von anderen Metropolen unterscheidet, sondern auch dadurch, dass die Insel trocken ist. Es gibt zwar Cafés und Restaurants, aber nicht eine einzige Dose Bier in der Hauptstadt. Zumindest nicht auf den Tresen – ein Schwarzmarkt existiert, seine Preise sind horrend. Urlauber sind schon deshalb kaum geneigt, länger als die paar Stunden zu bleiben, die eine ausgedehnte Besichtigungstour erfordert. Weil Mal é aber die besten Bildungsangebote des
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