Lesereise Malediven
Bauch Platz für Reliquien. Wo sie gefunden wurde, weiß niemand mehr. Auf Mal é wurde ein Kopf aus Korallenstein entdeckt. Riesig sind die Augen, breitlippig lächelt der Mund. Seine Geschichte verrät er nicht.
Vom Prunk der Hofhaltungen späterer Sultane erzählen die Exponate, die in der ersten Etage des Museums großzügig unter dem Titel »Zeitgenössische Sammlung« zusammengefasst sind. Sultansgewänder aus Seide, üppig bestickte Tuniken in Purpur und Gold, glitzernde, bestickte Schuhe und funkelnde Säbel und Dolche sehen aus wie aus einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht – und stammen aus dem 19. und 20. Jahrhundert.
Der Thron samt Fußbank des Sultans Summuwuul Ameer Abdul Majeed Rannaban, der gewählt wurde, aber auf dem relativ schlichten grün gepolsterten Sitz aus schwarzem Holz nicht Platz nehmen sollte, datiert ebenfalls bereits aus dem 20. Jahrhundert. Er zeugt von der Ära ab 1932, als die Engländer auf Errichtung einer Wahlmonarchie gedrängt hatten. Vor allem wohl, weil sie die innere Souveränität der Malediven nicht antasteten, hatten die Engländer noch am ehesten Erfolg bei dem Bemühen, das Inselreich zu kolonisieren. Portugal war im 16. Jahrhundert grandios an der Aufgabe gescheitert, die Insulaner in züchtige Kleidung zu stecken – immer wieder hatten sich im Laufe der Zeit Besucher aus Übersee verstört über die bloßen Oberkörper von weiblichen wie männlichen Insulanern gezeigt – und, wichtiger noch, ihnen die Segnungen des Christentums nahezubringen. Fünfzehn Jahre lang dauerte das portugiesische Intermezzo, bis die Eroberer nach zähem Kampf unter Führung von Muhammad Thakurufaan 1573 von Mal é vertrieben wurden. Hundert Jahre später erklärten die Niederlande die Inseln zum sogenannten Schutzgebiet. Auch sie mischten sich nicht in die inneren Angelegenheiten ein, verloren die Inseln jedoch mit Sri Lanka Ende des 18. Jahrhunderts an die Briten. 1965 erlangten die Malediven als vollwertige Mitglieder des Commonwealth, das sie drei Jahre später verlassen und dem sie 1985 neuerlich beitreten sollten, die Unabhängigkeit.
Das Nationalmuseum versucht gar nicht erst, diese Wechselfälle darzustellen oder gar zu kommentieren – es archiviert nur mehr ihre materiellen Zeugen. Die maritime Sammlung vereint das Skelett eines im Januar 2000 im Vaavu-Atoll gestrandeten Wals, eingelegte Fische sowie wunderschöne, offen herumliegende Muscheln. An einer Wand der zeitgenössischen Abteilung liegt jenes Dokument hinter Glas, das den Malediven im Herbst des Jahres 2009 weltweite mediale Aufmerksamkeit bescherte: das von dreizehn Kabinettsmitgliedern in der Lagune der Insel Girifushi in Tauchanzügen und mit wasserfesten Stiften unterschriebene « SOS von der Frontlinie«. Die Politiker nahmen an einem von zwei maledivischen Flaggen flankierten Tisch unter Wasser Platz, um ihre Unterschrift zu leisten.
»Der Klimawechsel findet statt und er bedroht die Rechte und die Sicherheit jedes Menschen auf der Erde«, heißt es auf der weißen Plastiktafel. »Wenn sich das globale Klima um weniger als ein Grad erwärmt, schmelzen die Gletscher, brechen Eisplatten auseinander und die niedrig liegenden Regionen der Welt drohen überschwemmt zu werden. Wir müssen eine weltweite Anstrengung unternehmen, um einen weiteren Anstieg der Temperaturen zu verhindern, indem wir den Ausstoß von Kohlenmonoxid auf ein sicheres Maß von dreihundertfünfzig Teilen pro Million reduzieren.« So hat es das Kabinett der Malediven am 17. Oktober 2009 gefordert. Vernehmlich brummt die Klimaanlage im menschenleeren Nationalmuseum. Im Foyer wartet Mr. Didi, der denselben Namen trägt wie eine mehr als zweihundert Jahre regierende Dynastie von Herrschern der Malediven. Er tritt nach draußen in die Mittagshitze. Als wir uns zum Meer wenden, deutet er auf ein großes Schiff, das am Horizont zu sehen ist. »Es holt Sand vom Meeresgrund, der auf den Inseln aufgeschüttet wird.«
Nichts kann uns schockieren
Die Gäste kommen: Von furchtlosen Nichtschwimmern, adeligen Stubenhockern und Lebenskünstlern in den allerbesten Jahren
Über München, Klagenfurt, Zagreb, Mazedonien, die Westtürkei, Zypern, Beirut, Jordanien, Saudi-Arabien, Dubai, den Oman und das Arabische Meer fliegen wir den Malediven entgegen. Der vom Kapitän versprochene »Flug ins Paradies« sorgt indessen nicht überall für gleichermaßen erwartungsfrohe Stimmung. Ein Passagier vertreibt sich die Zeit damit, unentwegt mit seiner Frau zu streiten.
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