Letzte Fischer
Fähigkeit zum Verzicht.«
Er sah auf das Gold in seinen Händen, mit dem er nun seine Familie ernährte, begutachtete die geschmeidige Seefledermaushaut ausgiebig, ehe er sie zum Kommandanten brachte, damit der sie in seiner Kajüte trocknen lassen konnte, um sie später in den Tresor einzuschließen.
»Und sonst?«, fragte der Kommandant und war erstaunt, als sein Spezialist sich mit einem Stöhnen in einen der rotbraunen Ledersessel fallen ließ und den Kopf schüttelte.
»Was gibt’s?«, fragte der Kommandant. Er sah unwirsch auf die Wanduhr, dann wieder zu seinem Arbeiter, der immer noch schwieg. Hatte er es doch gewusst! Lobe man den falschen Mann, fasse dieser ein blindes Vertrauen und rücke einem nicht mehr von der Pelle.
»Es ist Mai!«, sagte Filigraner .
»Erst in zwei Tagen, aber wir machen hier keinen ›Tag der Arbeit‹, falls es das ist, was du willst.«
Filigraner schüttelte den Kopf und sah zum Bullauge.
Rösch solle einfach mit dem Reden anfangen, viele Möglichkeiten habe er nicht, ermunterte ihn der Kommandant. Er wisse doch, dass er an Land erst recht nicht reden könne, er sei ein Seemann, ob er das nun gewollt habe oder nicht. Er sei ein Mann der See, das stehe fest, ein Seesüchtiger, der nur hier frei sei. Er sei ein Süchtiger unter Süchtigen, meinte der Kommandant und befahl: »Rede!«
Filigraner nickte, sah seinem Vorgesetzten fest in die Augen, der seinem Blick standhielt, und sagte nach einem Räuspern: »Meine Frau. Mathilde versucht, sich umzubringen.«
»Versuche zählen nicht«, sagte der Kommandant sofort und sah zum Bullauge.
»Schon drei Mal.«
»Drei Mal? Das ist viel.«
»Immer im Mai.«
Wieder sah der Kommandant zur Wanduhr, ging zum Schreibtisch, drückte einen Knopf und gab den Befehl, ihn in den nächsten zwanzig Minuten nicht zu stören. Er setzte sich zu seinem Arbeiter, goss zwei Single Malt , fünfzehn Jahre, ein und sagte: »Pack aus, Junge, erzähl schon!«
Robert Rösch nippte am Whisky und nickte: »Das erste Mal in den Bergen. Vor acht Jahren waren wir dort.«
»Ein Seemann gehört nicht in die Berge. Ganz gewiss nicht. Ein Seemann hat sich von den Bergen fernzuhalten. Erst recht, wenn er ein Fischer ist. Ein Hochseefischer.«
»Das weiß ich jetzt auch, aber Mathilde lag mir seit Monaten in den Ohren, sie wolle in die Berge!«
»Und dann hast du nachgegeben, weil du deine Ruhe haben wolltest. Keine gute Ausgangslage. Ein Mann, der nur nickt, um seine Ruhe zu haben, wird die nächsten Stürme nicht überleben.«
»Ja, Kapitän, Sie verstehen mich gut.«
Der Kommandant nickte und goss nach: »Und nach der Ruhe kam der Orkan?«
»Wegen dieser verdammten Fernsehberichte. Ich meine, da wird man doch verrückt im Kopf, wenn man immer diese Berichte aus der ganzen Welt sehen muss! Weiß doch jeder, dass es nie so ist, wie es gezeigt wird. Weiß doch jeder! – All die schönen Berge. Sonnenaufgang mit Frühnebel im Tal. Grelles Strahlen auf den Bergspitzen. Sah ja gut aus! Aber war doch nur Fernsehen! Heutzutage glauben die Leute dem Fernseher mehr als dem Nachbarn.«
»Erzähl endlich, halte mich nicht hin! Zehn Minuten habe ich noch für dich, dann muss ich wieder zum Kartentisch.«
»Bergkämme mit Schnee, der nie taut! Der noch nie getaut ist. Niemals, ich meine, was weiß so ein Schnee schon vom Schmelzen? Was weiß so ein Berg schon vom Tal? Kindischer Angeber! Der kennt doch gar nichts, keine Gefahr, keine Tücken, nichts, und wir aber hin da! Mit dem Auto.«
»Ausgerechnet mit dem Auto von der Ostsee in die Berge, sag mal, seid ihr bekloppt? Da gibt’s schöne Nachtzüge und alles.«
»Aber mit dem Auto hast du den Vorteil, jederzeit umkehren zu können. Jederzeit, das war ja mein Plan. Drei Mal verfahren und mit großem Tamtam : Jetzt reicht es mir aber! Jetzt kehren wir um! – Blöder Süden, macht einen ganz verrückt! – Und ich hatte vergessen, meine Frau stammt ja aus Bayern! Und Mathilde kannte sich da noch gut aus, sehr gut sogar, obwohl sie mit achtzehn Jahren in den Norden gekommen war. Meine Frau hatte wohl einfach Sehnsucht, als wäre die Erinnerung an die Kindheit die Kindheit selbst. – In München habe ich sieben verdammte Sackgassen ausprobiert, aber Mathilde hat uns durch die Stadt gelotst, als wäre sie da tatsächlich zu Hause. – Als wir aus München raus waren, immer noch Richtung Süden, da saß ich dann plötzlich auf dem Beifahrersitz! Damit hatte ich nicht gerechnet. Ab diesem Moment war die Sache
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