Letzte Fischer
andere!
Vom Kreischen der See umgeben und vom nassen Schwarz überrannt, fiel die alte Saudade ins Tal und hob Robert Rösch aus dem Stand, der sich an den Handlauf des Schanzkleides klammern musste und in die Knie ging, als das Schiff aufs Wasser aufschlug, ehe es sich in der Längsachse nach steuerbord drehte und den nächsten Berg hochgescheucht wurde. Was waren das doch für Gebirge! Wie lebendig! Wie tot waren dagegen die Berge der Alpen; Robert Rösch trat gegen einen zappelnden Rotbarsch, der sich auf der Nock verklemmt hatte.
Zwölf Meter über dem Fangdeck stand Rösch, aber der Barsch hatte trotzdem zu ihm gefunden.
Ein Knall schoss ihm durch den Kopf, Rösch hing an der verknoteten Leine, blickte neben sich, sah das zertrümmerte Fenster, schaute dem sich aufrappelnden Windenfahrer und dem Bootsmann zu, bemerkte die tief in der Holzvertäfelung steckenden Glassplitter.
Rösch warf einen Blick auf den Krängungsmesser, der bei siebenundfünfzig Grad stehen geblieben war, als sich das Schiff langsam wieder aufrichtete. Wie knapp sich der Zeiger doch vor dem dicken, dem roten, dem Unheil verkündenden Strich befand, auch Robert Rösch wusste, dass bei sechzig Grad alles aus war. Alles vorbei. ›Das ist keine Übung: Klarmachen der Rettungsinseln‹, wäre dann der nächste Befehl gewesen, so aber hörte er nur die Stimme des Kommandanten über die Lautsprecher sagen: »Achtung, sofortige Schadensmeldung über Funk aus allen Bereichen!«
»Brücke! Hier Fangdeck, das Netz schleppen wir noch, aber es wird langsam brenzlig.«
»Brücke! Hier Trawlbrücke, Sicherheitsglas Totalschaden, Wassereinbruch, aber wir kriegen es abgedichtet.«
»Brücke! Maschinenraum, keine besonderen Vorkommnisse.«
»Brücke! Verarbeitungsabteilungen, keine besonderen Vorkommnisse.«
»Brücke! Hier ist die Kombüse, es gibt heute keine Suppe als Vorspeise.«
»Brücke! Funkraum dicht und trocken.«
»Trawlbrücke! Hier Fangdeck, wir sollten den Hol jetzt retten, lange macht die Monroe das nicht mehr.«
Monroe hatten die Deckarbeiter also ihr Netz diesmal getauft, Robert Rösch grinste und sah unter sich alle zwanzig Deckmänner der Steuerbordwache am Heck stehen. Sie waren bereits mit den Laufseilen vertäut, an die sie sich immer wieder heranzogen, wenn die See sie nach steuerbord geschleudert hatte.
»Hier Trawlbrücke, Aufkommen in zwei Minuten!«
Da standen sie wieder, die zwanzig Männer wie einer, dieses Gemisch aus allen Religionen und Regionen der Welt, Robert Rösch wusste, dass nur ein einziger Gedanke sie jetzt durchströmte: Man überstand das Abschlagen des Eises von den Decksaufbauten bei vierzig Grad unter Null, man überstand das Abdichten von Lecks unter Wasser, das wochenlange Lenzen, und man überstand das tagelange Ausnehmen des Rotbarsches, weil die Gewissheit blieb, dass es zu Hause eine Frau gebe, eine treue Ehefrau, für die zu arbeiten und zu sterben sich lohne. Die Frau bleibe dem Seemann treu, und diese Treue sei ihm der feste Boden unter den Füßen, da könne die See noch so sehr wanken und wackeln. Die Frau bleibe treu, sie stehe zu ihrem Mann, der all das Leiden aushalte. Darauf könne die Frau zu Hause bauen, dass der Seemann auch die nächsten Stunden überstehe, mit einem abfälligen Lächeln. Dass er auch die kommende Zeit überlebe, mit einem frechen Grinsen. Dass er verlässlich bleibe, schweigsam und gelassen.
Erst recht, wenn er ein Deckarbeiter war! Robert Rösch nickte ihnen zu, die sich da unten Zentimeter um Zentimeter am Tau zurück auf ihre Positionen zogen, die im Eiswasser lagen und verächtlich lachten, diese Männer vom alten Schrot und Korn, deren Art allmählich ausstarb und die nur mit den Händen redeten, Robert Rösch wusste zwar, auch diese ›letzte Insel der alten Männerwelt‹ würde bald verschrottet sein, aber noch sah er sie auf ihrer Stahlinsel kämpfen: gegen die See und um jeden Fisch!
Alle vierzehn Starkstromscheinwerfer des Fangdecks flackerten, und Robert Rösch brüllte mitten in den Sturm hinein: »Wozu Licht, wenn unsere Frauen uns leuchten!«
»Ein Sturm verebbt, Treue niemals«, brüllte der neuseeländische Windenfahrer zurück, und Rösch nickte ihm grinsend zu, auch wenn seine eigene Frau sich da anders verhielt, solange es diesen verfluchten Monat Mai gab. Doch was soll’s? Der Kommandant hatte gesagt, erst in zwei Tagen sei es Mai! Heute war sie ihm treu! Ganz bestimmt. Heute Nacht war kein Selbstmordversuch zu befürchten, keine
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