Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
bereit, Hansen zu belasten. Aber jetzt mauert er plötzlich. Ihretwegen.«
»Meinetwegen?« fragte Rhyme.
»Er sagt, Sie hätten ihn bedroht. Während dieses kleinen, nicht genehmigten Treffens, das Sie vor ein paar Stunden mit ihm hatten. Mhm. Dafür werden Köpfe rollen, da können Sie sicher sein.«
»Ach, um Himmels willen!« Rhyme lachte bitter. »Sehen Sie denn nicht, was er tut? Lassen Sie mich raten... Sie haben ihm gesagt, daß Sie mich verhaften würden, stimmt's? Und er hat eingewilligt auszusagen, wenn Sie das wirklich tun.«
Eliopolos' unruhiger Blick bestätigte Rhyme, daß es genau so gewesen war.
»Verstehen Sie denn nicht?«
Aber Eliopolos verstand überhaupt nichts.
Rhyme sagte: »Es ist doch offensichtlich, daß er mich nur zu gerne ganz in seiner Nähe im Gefängnis hätte, am liebsten fünfzehn, zwanzig Meter von seiner Zelle entfernt.«
»Rhyme!« Sachs runzelte besorgt die Stirn.
»Wovon reden Sie eigentlich?« fragte der Staatsanwalt.
»Er will mich umbringen, Reggie. Darum geht es. Ich bin der einzige, der ihn je gefaßt hat. Er kann ja wohl schlecht wieder an die Arbeit gehen, solange er weiß, daß ich da bin.«
»Aber er wird nirgendwo hingehen. Niemals.«
Mhm.
Rhyme sagte: »Wenn ich erst einmal tot bin, wird er seine Aussage widerrufen. Er wird niemals gegen Hansen aussagen. Und womit wollen Sie ihn dann unter Druck setzen? Wollen Sie ihm mit der Todesstrafe drohen? Das wird ihn nicht beeindrucken. Er hat vor nichts Angst. Vor gar nichts.«
Er beschloß, daß es die Telefonbücher waren...
Die Telefonbücher und die Steine.
Rhyme versank in Gedanken, starrte auf die Beweistafeln an der Wand. Er vernahm ein Klirren und sah auf. Einer von Eliopolos' Agenten hatte tatsächlich seine Handschellen gezückt und näherte sich dem Clinitron. Rhyme lachte innerlich. Legt die alten Füße lieber in Ketten. Sonst läuft er noch weg.
»Kommen Sie schon, Reggie«, versuchte Sellitto zu beschwichtigen.
Die grüne Faser, die Telefonbücher, die Steine.
Ihm fiel etwas ein, das der Tänzer ihm erzählt hatte. Als er in ebenjenem Stuhl gesessen hatte, neben dem jetzt Eliopolos stand.
Eine Million Dollar...
Rhyme war sich vage bewußt, daß der Agent herauszufinden versuchte, wie man einen Krüppel am besten in Ketten legte. Und er war sich vage bewußt, daß Sachs nach vorn getreten war und überlegte, wie sie am besten den Agenten überwältigte. »Wartet«, bellte er plötzlich mit gebieterischer Stimme, so daß alle im Zimmer erstarrten.
Die grüne Faser...
Er starrte auf die Tafel.
Alle redeten auf ihn ein. Der Agent beäugte noch immer Rhymes Hände und klimperte dabei mit den Handschellen. Doch Rhyme ignorierte ihn. Er bat Eliopolos: »Geben Sie mir eine halbe Stunde.«
»Warum sollte ich?«
»Kommen Sie, was schadet das schon? Es ist schließlich nicht so, als könnte ich irgendwohin verschwinden.« Und bevor der Anwalt zustimmen oder ablehnen konnte, rief Rhyme: »Thom! Thom, ich muß telefonieren. Hilfst du mir oder nicht? Ich weiß nicht, wohin er manchmal verschwindet. Lon, ruf ihn bitte für mich.«
Percey Clay war gerade vom Begräbnis ihres Mannes zurückgekommen, als Lon Sellitto sie aufspürte. Jetzt saß sie schwarz gekleidet in dem abgewetzten Korbstuhl an Lincoln Rhymes Bett. Dicht neben ihr stand Roland Bell in einem dunklen Anzug, der von seinen beiden großen Pistolen ausgebeult wurde. Er strich sein dünnes, braunes Haar zurück.
Eliopolos war gegangen, doch seine beiden Muskelmänner hielten draußen im Flur Wache. Offenbar glaubten sie tatsächlich, daß Thom bei der ersten Gelegenheit versuchen würde, Rhyme im Storni Arrow aus der Tür zu fahren, und daß Rhyme dann mit einer Höchstgeschwindigkeit von zwölf Stundenkilometern einen Fluchtversuch unternehmen würde.
Perceys Kleid - ihr einziges, da hätte Rhyme wetten können scheuerte am Kragen und an der Taille. Sie lehnte sich zurück und wollte ihren Fuß über dem Knie verschränken, doch dann fiel ihr wohl auf, daß ein Rock sich für diese Haltung nicht eignete, und sie setzte sich mit ordentlich nebeneinander gestellten Knien gerade hin.
Sie betrachtete ihn mit ungeduldiger Neugier, und Rhyme wurde klar, daß Sellitto und Sachs ihr die Neuigkeit nicht mitgeteilt hatten, als sie sie abgeholt hatten.
Feiglinge, dachte er verstimmt.
»Percey... Sie werden den Fall gegen Hansen nicht vor die Grand Jury bringen.«
Ihre erste Reaktion war Erleichterung. Dann erst begriff sie. »Nein!« keuchte
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