Letzter Weg
ging zur Ankleidekommode. »Nicht, dass sie irgendwelche Antworten bekommen hätte.«
»Sie hätte gar nichts von Pompano Beach wissen dürfen.«
»Von der Putzfrau?« Grace setzte sich wieder. »Hast du irgendwas vor ihr verborgen?«
Sam schüttelte den Kopf. »Vermutlich haben die beiden Fälle ohnehin nichts miteinander zu tun.«
Grace zog ein Abschminktuch aus der Schachtel und schaute ihren Mann über den Spiegel an. »Du glaubst doch nicht, dass Terri – zumindest teilweise – mit Saul zusammen ist, um an dich ranzukommen, oder?«
»Niemals.« Sam wirkte entsetzt.
»Nur dass sie dir gesagt hat, sie wolle eine Versetzung ins Morddezernat, und …«
»Und ich habe ihr sofort gesagt, dass ich nichts für sie tun kann.« Sam grinste reumütig. »Sieh es ein: Wenn sie hinter einflussreichen Leuten her wäre, hätte sie sich die falsche Familie ausgesucht.«
»Das war sowieso dumm von mir.« Grace schämte sich. »Terri ist mit Saul zusammen, weil er ein wunderbarer Mensch ist, und sie kann von Glück reden, dass sie ihn hat.«
»War ich zu grob zu ihr?«, fragte Sam.
»Ein bisschen eisig vielleicht«, antwortete Grace, »aber nur kurz.«
»Armes Kind.« Sam erinnerte sich daran, was Terri ihnen beim Essen erzählt hatte. »Hat Saul dir je von ihrem Vater erzählt?«
Grace schüttelte den Kopf. »Er würde ihr Vertrauen niemals auf diese Art missbrauchen.«
Sam dachte an seinen jüngeren Bruder und lächelte.
»Dann kann sie noch mehr von Glück reden, Saul gefunden zu haben, findest du nicht?«
»O ja«, sagte Grace.
10.
13. August
Während der ersten drei Monate ihrer potenziell gefährlichen Schwangerschaft hatte Grace ihre Arbeit drastisch reduziert, und dieses eine Mal bedurfte es auch kaum Überzeugungsarbeit dazu, weder von Sam noch von David oder sonst jemandem aus ihrem Team von liebenden, aber oft auch nervigen Helfern.
Tatsächlich verkleinerte sich dieses »Team«. Teddy Lopez, Grace’ einstige Haushälterin und gute Freundin, war mit ihrem neuen Freund vor achtzehn Monaten nach Los Angeles gezogen. Sechs Monate zuvor war Dora Rabinovitch, Grace’ Teilzeit-Büromanagerin, in Frührente gegangen. Und Claudia Brownley, Grace’ Schwester, war nach Seattle gezogen, wo Daniel, ihr Mann, ein neues Architekturbüro eröffnen wollte.
Diese letzte Trennung hatte die bei weitem größte Lücke hinterlassen. Grace und Claudia sprachen noch immer mindestens einmal die Woche miteinander, fast so wie damals, als Claudia noch auf den Keys gelebt hatte; nur hatte Grace damals gewusst, dass sie bloß ins Auto zu springen brauchte, um Claudia, Daniel und ihre Jungs zu besuchen. Fünftausend Meilen und drei Stunden Zeitunterschied hatten Grace jedoch das Gefühl vermittelt, von ihrer Schwester nicht nur abgeschnitten, sondern ihr auch entfremdet zu sein.
Das war besonders beunruhigend, weil Grace wusste, dass Claudia in ihrem neuen Heim alles andere als glücklich war, auch wenn sie am Telefon stets das Gegenteil beteuerte. Irgendetwas an ihrem neuen Leben erinnerte sie an ihre lausige Kindheit und Jugend in Chicago. Claudia vermisste den Sonnenschein, die Palmen und das Meer, und vor allem vermisste sie ihre Schwester, die vor all den Jahren ihre Flucht nach Florida initiiert hatte.
»Solltest du je die Reise auf dich nehmen wollen«, hatte Daniel vor ihrer Abreise gesagt, »dann weißt du, dass du stets ein Zimmer bei uns hast, das auf dich wartet.«
Grace wusste, dass ihr Schwager es ernst gemeint hatte, aber die Realität war, dass sie es schon vor ihrer Schwangerschaft als Vollzeitjob empfunden hatte, Cathys Mutter zu sein – ganz zu schweigen davon, die Frau eines überarbeiteten Detectives und Psychologin mit nach wie vor florierender Praxis zu sein.
»Du berechnest einfach nicht genug«, hatte Dora sie getadelt. »Die Eltern deiner kleinen Patienten nutzen dich aus.«
»Das ist kein Geschäft«, hatte Grace sie erinnert, doch Dora hatte einen Aktenordner mit fälligen Rechnungen hervorgeholt und ihre Chefin tadelnd angefunkelt. Grace mochte ja einen Doktortitel haben, aber es war Dora, die das Schiff über Wasser hielt – bis man Grünen Star bei ihr diagnostizierte, worauf sie gekündigt hatte.
Nun, da Lucia Busseto das Büro führte, war alles anders. Noch eine reife, fürsorgliche Frau – allerdings mehr italienische Mama als jüdische Mutter –, doch nicht so deutlich in ihrer Wortwahl wie Dora und entschieden respektvoller in Bezug auf das Privatleben der Patienten, selbst in
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