Letzter Weg
sie in Grace’ und Sams Haus und setzten sich an den handgeschnitzten Küchentisch, während polierte Töpfe und Pfannen auf dem Herd dampften. Sie alle – Frauen und Männer – wechselten sich damit ab, die Sabbatkerzen zu entzünden und über Brot und Wein den Segen zu sprechen. Manchmal waren nicht mehr als zwei oder drei Leute am Tisch, wenn Sam an einem Fall arbeitete und Saul oder Cathy anderweitig beschäftigt waren. Doch an diesem Freitag, nachdem die ersten intensiven Ermittlungen im Muller-Fall nur in Sackgassen geführt hatten und Sam ein besonderes Bedürfnis nach seiner Familie und Grace’ italienischer Küche verspürte, waren sie tatsächlich zufälligerweise alle da.
Für Sauls Freundin Terri hatte man ein Extragedeck bereitgelegt.
Sauls Liebe. Teresa Suarez. Klein, sehr hübsch und zäh. Terri für ihre Freunde. Teté – ihr kubanischer Spitzname – für Saul. Sonst stand niemand ihr nahe genug, dass er sie so nennen durfte.
Sam kannte sie ebenfalls, allerdings als Officer Teresa Suarez, eine ehrgeizige Anfängerin, die im Miami Beach Police Department Eigentumsdelikte bearbeitete – sehr zu ihrem Verdruss, denn Terris Ziel war, im Morddezernat zu arbeiten, so wie Sam.
Für Sams Geschmack übertrieb sie es bisweilen mit ihrer Zielstrebigkeit.
»Warum sollte sie nicht wollen, was du hast?«, hatte Saul seinen Bruder vor ein paar Monaten gefragt, nachdem Sam sich ein wenig besorgt über Terris Ungeduld geäußert hatte.
»Sie hat jetzt schon einen Klassejob«, hatte Sam geantwortet. »Und sie hat großes Potenzial.«
»Meinst du das ernst?« Das hatte Saul beschwichtigt.
»Natürlich meine ich das ernst«, hatte Sam gesagt. »Aber Terri ist noch jung. Sie kann sich so viel Zeit nehmen, wie sie will, um ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Und es ist ja nicht so, dass das Morddezernat etwas Besseres wäre als die Abteilung für Eigentumsdelikte.«
»Sie will Menschen helfen«, hatte Saul erklärt.
»Dann könnte sie in keiner besseren Abteilung sein«, hatte Sam erwidert. »Du weißt, wie die Leute sich fühlen, wenn jemand ihre Häuser plündert.«
Was Sam bei diesem Gespräch empfunden, aber nicht ausgesprochen hatte, war das beunruhigende Gefühl, dass Terri eine dieser jungen Officers war, die absolut unrealistische Vorstellungen von der Arbeit im Morddezernat hatten.
Die Realität bestand aus der Konfrontation mit Schrecken, Hässlichkeit, Dreck, Blut, tiefem Leid, Schmerz und Frust … nicht zu vergessen all die Kleinigkeiten, all die elend zähen Arbeiten, die im Morddezernat anfielen, denn die gefährlichsten aller Verbrecher mussten gefasst werden. An Hunderte Türen zu klopfen, unzählige Formulare auszufüllen und endlose Berichte zu schreiben war Teil des Jobs, um einen Killer nicht nur zu fangen, sondern ihm auch den Prozess zu machen.
Das war der Sinn des Lebens für einen Cop im Morddezernat, der Preis, der die verdammte Arbeit wert war.
Diesen Preis wollte auch Terri.
Und Saul hatte natürlich recht. Sam war nicht in der Position, ihr das zum Vorwurf zu machen.
Sah man davon ab, dass diese Arbeit mehr Risiken barg als alle anderen; das wusste niemand besser als Sam. Saul, sein sanftmütiger, junger Adoptivbruder, war einer der wichtigsten Menschen in Sams Universum, und so fürchtete er, dass Saul mit seiner Liebe zu dem draufgängerischen, schokoladenäugigen Mädchen Schmerzen für die Zukunft heraufbeschwor.
Aber noch ist es nicht so weit, dachte er. Nicht heute Abend.
Hoffentlich nie.
»Du siehst glücklich aus, Süße«, sagte David zu Cathy, als sie ihre mit Chili gewürzte, teils toskanische Version des traditionellen Freitagsbrathühnchens nach Art ihrer verstorbenen Schwiegermutter zur Hälfte verspeist hatten.
»Sie ist glücklich«, warf Saul ein, bevor Cathy antworten konnte, »weil diese Trent-Läuferikone sie für eine heiße Sprinterin hält.«
»Das hat Kez nie gesagt«, korrigierte ihn Cathy. »Sie hat gesagt, ich sei nicht schlecht.«
»Du bist besser als ›nicht schlecht‹«, sagte Grace.
Cathy lächelte. »Kez hat gesagt, wir sollten mal zusammen laufen.«
»Sprichst du zufällig von Kez Flanagan?« David war interessiert.
»Du hast von ihr gehört?« Cathy war überrascht, denn ein Star in Trent zu sein bedeutete in der großen Welt des Collegesports nur wenig.
»Ich hab sie mal gekannt«, sagte David.
»War sie eine Patientin?«, fragte Sam.
»Bis ihr Vater verstorben ist.« David lächelte. »Joey Flanagan, ihr Dad, war ganz
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