Letzter Weg
Rettungsmannschaft, die das Opfer für tot erklärt hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Beamten der Miami Beach Police, die den Tatort abgeriegelt hatten, bereits wissen müssen, dass trotz ihrer Bemühungen alle möglichen Beweise bereits für immer verloren waren – insbesondere Fußabdrücke, die der Täter hinterlassen haben könnte (die man aber nur selten fand, da der Sand am Strand sich ständig bewegte).
Als sie den Pfad außerhalb des mit Bändern abgesperrten Areals erreichten, zündete Sanders sich eine Zigarette an und grinste, als er Beckets noch immer deutliches Unbehagen sah.
»Wenn du noch ein bisschen blasser wirst, Sam, werden sie dich bald Jackson nennen.«
»Wenn du noch ein bisschen fetter wirst, Doc, können wir dich als Schattenspender vermieten.« Der schlanke Martinez mit dem runden Gesicht, den scharfen dunklen Augen und dem leichten Akzent gesellte sich zu ihnen.
»Sehr witzig, Al. So lustig wie ein Einlauf«, entgegnete der Mediziner sarkastisch.
»Was ist mit dir, Sam?«, fragte Martinez, als sie vor dem ocker- und cremefarbenen zweistöckigen Apartmentgebäude an der Abbott Avenue hielten, in dem sich Rudolph Mullers Wohnung befand.
Sie waren nicht nur Kollegen, sie waren Freunde. Und sie arbeitetennun schon seit Jahren in gegenseitigem Respekt zusammen. Sie beide waren gute, tüchtige, manchmal hervorragende Detectives, doch keiner von beiden hatte sich bis jetzt die Beförderungen verdient, die man aufgrund ihrer langen Dienstzeit hätte erwarten können. Alejandro Martinez war ein gleichmütiger Mann, sofern man ihn nicht ernsthaft aus der Ruhe brachte – höflich, doch mit dem schlummernden Gewaltpotenzial eines Straßenkämpfers. Er hatte nie wirklich nach einer Beförderung gestrebt, denn als Junggeselle mit einem Blick für hübsche Frauen wollte er keinerlei Verantwortung außer für sich selbst. Samuel Becket wiederum war nicht befördert worden, weil er – sehr zum Missfallen seiner Vorgesetzten – dazu neigte, Dienstvorschriften bisweilen ziemlich »frei« zu interpretieren, wenn sie seinem Instinkt zuwiderliefen.
»Muller hat an der Trent University gearbeitet«, antwortete Sam auf die Frage seines Kollegen.
»Cathy.« Martinez wusste, dass Sams Adoptivtochter an der Trent ihren Bachelor-Abschluss in Sozialarbeit machte, und er war sich ebenfalls bewusst, wie sein Partner empfand, wenn sich auch nur der Hauch einer Gefahr für Cathy abzeichnete. »Der Bursche war Hausmeister. Cathy hat ihn vermutlich nie gesehen, geschweige denn, ihn kennen gelernt.«
»Ich weiß«, sagte Sam.
»Und er ist in seinem Heimatrevier getötet worden, nicht an der Uni.«
»Ich weiß«, wiederholte Sam.
Martinez schaute ihn an. »Kommt Cathy gut zurecht?«
»Ja«, antwortete Sam, was der Wahrheit entsprach, soviel er wusste – zum Glück.
»Und Grace?«
Sam lächelte. »Grace geht es prächtig, Gott sei Dank, und auch Saul und meinem Vater.«
»Mir geht’s auch gut«, sagte Martinez. »Mir einzig und allein.«
Sam öffnete seine Wagentür. »Dann sind wir schon zwei glückliche Bastarde.« Er schaute an Mullers Haus hinauf. »Und jetzt lass uns gehen und jemandes Leben zerstören.«
»Ja, wir haben wirklich Glück«, sagte Martinez.
3.
Sechs Jahre waren vergangen, seit eine grauenhafte Mordserie in Miami Beach und Umgebung geendet hatte. Ein langer, schrecklicher Albtraum war damals zu Ende gegangen – ein Albtraum, der sowohl Sam Becket als auch Dr. Grace Lucca betroffen und fast das Leben ihrer zukünftigen Tochter, Cathy Robbins, zerstört hätte.
Sam und Grace, eine Kinder- und Jugendpsychologin, waren seit vier dieser sechs Jahre verheiratet. Sie wohnten mit Cathy in einem Haus auf Bay Harbor Island, das ursprünglich Grace allein gehört hatte. Es war ein kleines weißes Steinhaus mit rotem Ziegeldach, Bogenfenstern, zwei Palmen und einem Australischen Flaschenbaum vor der Tür und einer überdachten Veranda hinter dem Haus. Die Veranda war Grace’ Lieblingsplatz, da sie von dort über die Biscayne Bay blicken konnte.
Manchmal hätte ihr dieses Haus, das einst ihr allein gehört hatte, überfüllt vorkommen können, aber das war nie der Fall. Im Gegenteil, es erschien ihr genau richtig. Ihre Ehe – die erste für Grace, die zweite für Sam – und ihre Vormundschaft über Cathy waren wundervoll für sie. Der einzige Schatten auf ihrer Beziehung war ihre scheinbare Unfähigkeit, ein eigenes Baby in die Welt zu setzen.
Nach zwei Fehlgeburten dauerte Grace’
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