Leute, mein Herz glueht
weiß, dass ich keinen Apfelkuchen essen werde. So weit bin ich noch nicht geheilt, dass ich wahllos alles in mich reinstopfe. Und Mama taumelt aus dem Zimmer. Vermutlich wirft sie sich in der Küche erst mal eine von ihren Beruhigungspillen ein. Und ein paar Male haben Cotsch und ich die auch schon bekommen - wenn Mama Schiss hatte, dass wir die Nerven verlieren. Sogar Papa hat sie mal ein, zwei zerbröselte Pillen unter den Kartoffelbrei gemischt, nachdem Cotsch unser Auto versehentlich um einen Laternenmast gewickelt hatte. Beim Untermanschen hat Mama zu Cotsch und mir gemeint: »Das mit den Pillen dürft ihr Papa niemals sagen! Versprecht mir das! Niemals!«
Nun hocke ich hier wie eine trübe Tasse auf meiner Bettkante und starre rüber zu meinem Schreibtisch, wo die Postkarte von meiner Freundin Alina liegt, die sie mir aus ihrem Fuerteventura-Urlaub geschickt hat. Und dann steht da noch ein gerahmtes Urlaubsfoto von meiner Schwester und mir, auf dem wir beide auf zwei dänischen Ponys sitzen und riesige Reiterhelme aufhaben. Das Bild ist schon über zehn Jahre alt und wir beide sehen irgendwie richtig groovy aus. So als könnte uns nichts umhauen. Damals war ja auch noch alles in bester Ordnung. Da dachte ich, dass mir später mal alle Männer zu Füßen liegen werden. Von wegen. Bereits mein erster Freund - er hieß Arthur - hat mich knallhart sitzen lassen. Im Frühsommer ist er einfach nach Afrika gegangen, um für arme Kinder Hütten und Brunnen zu bauen. Dagegen ist ja an sich nichts einzuwenden, aber ich habe es ja auch nicht gerade leicht mit meinen Leuten. Die sind so was von kompliziert und nervenaufreibend. Trotzdem habe ich mich Arthur nicht in den Weg gestellt. Ich habe ihm auch keine Szene gemacht. Mama meint: »Das sollte man sich als Frau besser sparen.« Männer brauchen nämlich das Gefühl von Freiheit und Unverantwortlichkeit. Darum weiß ich auch nicht, wann Arthur wiederkommt.
Ich versuche wirklich, immer schön entspannt zu bleiben. Damit das einigermaßen klappt, habe ich mir für die Zeit seiner Abwesenheit einen neuen Freund zugelegt: Johannes. Nur der ist, wie bereits erwähnt, ebenfalls verschollen. Es wäre ja in Ordnung, wenn er einen grauenhaften Fahrradunfall gehabt hätte und jetzt mit schweren Knochenbrüchen im Krankenhaus läge. Dann würde ich ihm natürlich großmütig verzeihen und ihn gesund pflegen. Doch solange ich nicht weiß, was los ist, unterstelle ich ihm das Schlimmste.
Ich atme tief ein und sehe mich um. Nichts hat sich verändert seit meiner Abfahrt. Die Möbel stehen noch genauso wie vor drei Monaten, alles sieht gleich aus, außer dass Mama vor meiner Ankunft noch mal ordentlich durchgesaugt hat. Sogar auf den Blättern meiner Topfpflanze wurde der Staub entfernt. Auf der Fensterbank liegen meine selbst getöpferten Skulpturen - und weil ich so lange weg war, kann ich plötzlich riechen, wie es bei uns zu Hause riecht: nach Tee und Butterbonbons. Sehr angenehm, finde ich. Trotzdem rufe ich jetzt bei Johannes zu Hause an! Die Angelegenheit muss geklärt werden. Wenn ich eins im Leben nicht ertragen kann, dann ist das Ungewissheit. Die macht mich fix und foxy. Auch wenn Mama sagt: »Du musst lernen, dich in Geduld zu üben.« Irgendwo muss Schluss sein!
Ich stehe vom Bett auf, gehe raus in den dämmrigen Flur, wo Mama liebevoll ganz viele von unseren früheren Kinderzeichnungen in hübschen Rahmen aufgehängt hat - zur Erinnerung an die Zeit, als noch alles harmonisch war. Die kleine Treppe runter, ins Wohnzimmer rein, wo ein schöner Blumenstrauß auf dem Esstisch steht, über den flauschigen Teppich, hin zum Telefon. Im Garten stellt Mama gerade die Kuchenteller auf den Tisch und winkt mir aufmunternd durch die große Fensterscheibe zu. Sie tut echt alles, damit ich mich geborgen fühle. So ist Mama. Die beste auf der ganzen Welt. Ich ziehe eine fröhliche Grimasse, damit sie denkt, dass alles in bester Ordnung ist. Sie soll sich ja auch mal entspannen. Als ich Johannes’ Zuhause-Nummer wähle, zittern meine Hände. Was, wenn er nicht da ist? Nach dem zweiten Tuten wird endlich am anderen Ende der Hörer abgenommen.
Seine Mutter ist dran: »Ja? Bachmann?«
Ich versuche, meine Stimme cool klingen zu lassen. Muss ja nicht jeder merken, dass ich kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehe. »Hallo. Hier ist Lelle.«
»Elisabeth! Bist du wieder da?«
»Ja. Ist Johannes zu Hause?«
»Leider nicht. Wie geht es dir denn? Hast du dich gut erholt?«
Nein. Aber das
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