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Lichthaus Kaltgestellt

Lichthaus Kaltgestellt

Titel: Lichthaus Kaltgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Walz
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Vielleicht hat einer etwas gesehen.«
    »Unser Täter wird die Märkte vorerst wohl meiden, aber weitere Zeugen wären nicht schlecht.« Er erzählte auch kurz sein Vorhaben, Ottilie Borsig zu befragen und vereinbarte, sich am Abend mit Sophie Erdmann in Eitelsbach zu treffen.
    Nach diesem Gespräch rief er Ottilie Borsig an. Sie war zu Hause, und er könne vorbeikommen, wann immer er wolle. Er brach sofort auf.
    *

Hoxel lag unweit von Morbach im Hunsrück. Ein gepflegtes Dorf auf einem Höhenzug mit Blick auf den Erbeskopf. Ein großes Neubaugebiet zog sich weiter oben den Bergrücken entlang, doch die Straßen schienen wie ausgestorben, sah man einmal von einer alten Frau ab, die an einer fahrenden Bäckerei Brot kaufte.
    Das Haus von Ottilie Borsig war typisch für die Gegend. Klein, mit Satteldach, gepflegt und gegen die Wettereinflüsse mit jetzt verwaschenen Eternitplatten verkleidet, lag es in einem Bauerngarten mit Stockrosen, kleiner Wiese, Hollywoodschaukel und – in einem abgetrennten Teil – einem Nutzgarten mit allerlei Gemüse.
    Er öffnete das Tor des Jägerzauns. Die Frau, die auf sein Klingeln in der Tür erschien, passte in das Haus. Sie trug eine ärmellose Kittelschürze, ihre Füße steckten in groben Schuhen. Das graue Haar hatte sie zu einem Knoten geflochten. Sie mochte so zwischen siebzig und achtzig Jahren alt sein, doch die blauen Augen schauten ihn wach und freundlich an, als er sich vorstellte. Das Lächeln war echt, und sie bat ihn einzutreten. Auf dem Tisch in der Küche standen zwei Kartons. Die Deckel waren zerfleddert und staubig. Durch die seitlichen Eingriffe konnte man Papiere erkennen.
    »Das sind Unterlagen meines Sohns, die auf dem Dachboden standen. Ich habe noch nichts weggeworfen.« Sie schaute entschuldigend. »Ich konnte einfach nicht. Er wäre jetzt siebenundfünfzig.«
    »Es tut mir leid.«
    Sie nickte, und er setzte sich, um die Unterlagen zu sichten. Die alte Frau kochte Kaffee und erzählte von ihrem Sohn, dem ebenfalls früh verstorbenen Mann und der Einsamkeit des Alters. Dann ließ sie ihn allein. Kurz darauf sah er sie im Garten arbeiten.
    Der Inhalt der Kartons war schlichtweg ein Horror. Steuerunterlagen, Kataloge mit verschiedensten Angeboten, Rechnungsbelege und vieles mehr lagen ohne jegliche Ordnung wild durcheinander. Es dauerte annähernd eine Stunde, bis er auf einen schmalen Hefter stieß, der mit der Rittergruppe zu tun hatte. Borsig hatte die Mitglieder aufgelistet. Er hatte notiert, wann jeder einzelne zur Gruppe gestoßen und dann wieder ausgetreten war. Insgesamt waren vierundzwanzig Personen in einer Zeitspanne von 1975 bis 1983 dabei gewesen. Auf dem Höhepunkt hatte die Gruppe sechzehn Kämpfer umfasst. Er schrieb sich die Namen und damaligen Wohnorte heraus.
    Im zweiten Karton, natürlich ganz unten, fand er einen Brief, in dem sich ein Walter Hermann und seine Kämpfer für das schöne Turnier bedankten, das Borsig organisiert hatte. Offensichtlich hatte man gemeinsam einen Tag bei Bier, Gegrilltem und eben Wettkämpfen verbracht. Ob es das Fest war, von dem Federer gesprochen hatte? Borsig hatte oben in der rechten Ecke einen Absender vermerkt: Walter Hermann, Franzenheim. Lichthaus konsultierte sein Smartphone. Ein Walter Hermann lebte zwar nicht mehr in Franzenheim, wohl aber in Pluwig, dem Nachbardorf. Er wählte die Nummer, doch niemand hob ab. Unwillig durchforstete er die restlichen Unterlagen, leider ohne Erfolg. Einige Zeit später verabschiedete er sich und machte sich in Richtung Pluwig auf den Weg.
    Von unterwegs erreichte er Steinrausch, der die Namen im Zentralcomputer durchlaufen ließ, doch nichts finden konnte. Auch Walter Hermann, unverheiratet, kinderlos, einundsechzig Jahre alt, war bislang noch nicht aktenkundig geworden. Kaum hatte er aufgelegt, klingelte das Handy erneut, doch es war nicht wie erhofft Claudia, sondern die Sekretärin des Präsidenten, die ihn zu einer offiziellen Anhörung für den kommenden Morgen einlud.
    *
    Der Kontrast zu Ottilie Borsigs Haus hätte nicht größer sein können. Hermanns Behausung war eine Bruchbude von undefinierbarer Farbe, die am Ortsrand lag. Das Fertighaus, Lichthaus tippte auf die sechziger Jahre, war nur einstöckig. Die herabgelassenen Rollläden waren scheckig und überall platzte der Lack ab. Eine Regenrinne schien zu lecken. Von dieser Stelle aus hatte sich ein moosig-schimmeliger Streifen vom Dach bis zum Fundament gebildet. Der Garten selbst war eine einzige Wildnis,

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