Lichthaus Kaltgestellt
die jeden neugierigen Blick im Grün erstickte. Ungemäht der Rasen, Büsche und Bäume völlig verwildert. Zögernd ging er auf das Haus zu und fragte sich, ob er nicht die falsche Adresse hatte, doch die verrostete Hausnummer stimmte. Unter dem Klingelknopf hing dann auch ein kaum lesbares Plättchen mit dem Namen Hermann.
Als er den Knopf betätigte, verhallte das grelle Schrillen der Klingel im Nirgendwo. Er wartete und klopfte leise fluchend gegen die Tür. Nichts passierte, und er wiederholte sein Klopfen. Wieder nichts. Noch einmal. Absolute Ruhe. Wo konnte der Mann sein? Er überlegte gerade, ob er die Nachbarn fragen sollte, als Hermann sich meldete.
»Was willst du?« Die Frage wurde geschrien. Laut und unfreundlich, so dicht neben Lichthaus’ Kopf, dass er heftig zusammenzuckte und einen Schritt zurücktrat. Rechts vom Eingang befand sich ein kleines Fenster, das wahrscheinlich zum Gäste-WC gehörte. Hier heraus hatte der Mann gebrüllt.
»Herr Hermann? Polizei, mein Name ist Lichthaus. Ich habe ein paar Fragen an Sie.«
»Ist mir scheißegal. Hau ab.«
»Soll ich Sie abholen lassen?«
»Zeig deinen Ausweis.«
Lichthaus zögerte einen kurzen Moment und warf dem Mann dann seine Visitenkarte durchs Fenster. Er hoffte, er würde sich damit zufriedengeben.
Drinnen rumorte es leise, schließlich wurde wirklich die Tür geöffnet. »Komm rein, Kommissar.«
Das Haus war abgedunkelt. Nur gelegentlich drangen hier und dort schmale Lichtstrahlen herein, wo die Rollläden nicht mehr ganz schlossen. Es stank ekelerregend und er versuchte, durch flaches Atmen möglichst wenig davon abzubekommen. Der Mann schien starker Raucher zu sein und wenig vom Putzen zu halten. Allmählich gewöhnte sich Lichthaus an das Dämmerlicht. Die Diele war leer. Er konnte gerade noch eine Gestalt sehen, die langsam einen kurzen Flur entlangschlurfte und ihn hinter sich her winkte. Zögerlich folgte er ihm. Lichthaus und Claudia achteten peinlich auf Sauberkeit, jetzt umso mehr, wo Henriette da war, und obwohl er im Laufe der Zeit viele Behausungen gesehen hatte, die unsauber, ärmlich oder heruntergekommen waren, schien nichts mit dem Zustand dieses Hauses mithalten zu können. Unrat, wohin er schaute. Leere Flaschen, dreckige Kleider und sonstiger Müll lagen überall auf dem Boden und verteilt im gesamten Wohnzimmer, das er nun betrat. Das Sofa und die Sessel hatte man achtlos an eine Wand geschoben. Das Bücherregal war über und über mit Staub bedeckt.
Walter Hermann hatte sich hinter einen Schreibtisch gesetzt und eine kleine Lampe angeknipst, deren Schein sein Gesicht im Dunkeln ließ. Lichthaus setzte sich auf den einzigen Stuhl und würgte. Ihm wurde schlecht.
»Hier sieht’s aus wie im letzten Drecksstall, nicht wahr? Aber ich habe nicht mit Besuch gerechnet.« Der Schatten kicherte gurgelnd und zündete sich eine Zigarette an.
»Kann ich das Fenster öffnen?«
»Ja, aber die Läden bleiben unten.« Lichthaus stand auf und öffnete beide Fensterflügel. Ein wenig Luft drang herein und der Druck, in diesem Loch gefangen zu sein, ließ nach, sein Magen beruhigte sich.
»Herr Hermann, ich habe einige Fragen, die im Zusammenhang mit vier Tötungsdelikten aufgetreten sind.«
»Was soll der Kack? Was wollen Sie da von mir?« Er erklärte kurz den Fall, vermied aber Einzelheiten. »Und ich soll Ihnen helfen, dieses perverse Schwein zu finden?«
»Wir werden natürlich Ihre Angaben vertraulich behandeln. Sie müssen sich also keine Sorgen machen.« Sein Gegenüber lachte laut auf und beugte sich vor.
Lichthaus prallte zurück. Das Gesicht des Mannes war wie in einem billigen Horrorfilm entstellt. Der linke Nasenflügel war praktisch verschwunden, wie weggefault, und auch die Oberlippe hatte sich zurückgezogen, wodurch die gelben Zähne und zum Teil die Zahnhälse sichtbar wurden. Die restliche Gesichtshälfte war von Wucherungen in den unterschiedlichsten Farben überzogen.
»Angst? So ein Scheiß. Wovor soll ich noch Angst haben? Der Krebs hier«, er deutete auf sein Gesicht, »bringt mich nicht um, er macht mich nur zu einem Zombie. Zerfrisst mir die Fresse. Ich sitze herum und warte. Manchmal will ich alldem ein Ende machen, bin aber zu feige, mir die Birne wegzublasen. Zurzeit versuche ich es mit Totrauchen. Ich habe keine Angst mehr, nee.« Er rauchte wieder und lehnte sich zurück.
»Nun gut«, fing Lichthaus sich wieder, »ich bin bei Holger Borsig auf Ihren Namen gestoßen.«
»Kenn ich nicht.«
»Sie
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