Liebe
die bereitgelegte Axt ergreifen. Ich glaube, ich hätte sie alle drei erschlagen. Doch Gott hat sie und mich davor bewahrt. Sie unternahmen nichts, zogen sich zurück und gingen ins Zimmer des Nachbarn. Nachdem ich mir bewiesen hatte, dass mich Drohungen, Zukunftsangst und Sorge um mein körperliches Befinden nicht einschüchtern konnten, hatte ich meine Ruhe.
Aber einem Monat später geschah etwas Unvorhergesehenes.
Ich kam angetrunken nach Hause, und mein Nachbar begann, mich wie gewöhnlich zu belästigen. Ich konnte mich nicht beherrschen und schlug auf ihn ein, dass er mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus musste. Im Korridor standen zu dieser Zeit eine Nachbarin und zwei Bekannte, die alle hörten, was geschah. Einige Tage später kam der Abschnittsbevollmächtigte der Miliz und teilte mir mit, dass gegen mich ein Strafverfahren eingeleitet worden ist.
„Ihnen drohen acht Jahre Gefängnis“, erklärte er.
Ich log ihn natürlich an und sagte, dass ich den Nachbarn nicht angerührt habe.
„Versuchen Sie, davon den Untersuchungsrichter zu überzeugen“, riet mir der Abschnittsbevollmächtigte.
Dann kam die erste Vorladung zur Miliz. Ich wurde peinlich befragt, was sich und unter welchen Umständen ereignet hat, und ich bestand beharrlich auf meiner Version. Hierbei konnten mir vor allem meine schauspielerischen Fähigkeiten helfen. Je stärker ich mich auf das eingebildete Szenarium konzentrierte, desto unabhängiger wurde es von mir und begann, ein Eigenleben zu führen. Je weniger Furcht ich bei den Verhören hatte, umso größer waren meine Chancen. Ich erhielt keine weiteren Vorladungen und dachte schon, dass alles damit vorbei ist. Doch wie sich herausstellte, war diese Annahme falsch. Nachdem ich mich gerade beruhigt und entspannt hatte, wurde ich erneut zu einem Untersuchungsrichter vorgeladen. Ein untersetzter Mann mit Bart saß mir gegenüber und redete wohlwollend auf mich ein.
„Hör mal, ich weiß, wer dein Nachbar ist. Einen solchen Dreckskerl hätte man schon lange erschlagen sollen. Leider hast du ihn nicht getötet, sonst hätten wir jetzt weniger Sorgen. Doch jetzt, mein Junge, bist du in eine sehr ernste Lage geraten, wahrscheinlich wirst du acht Jahre erhalten. Ich versuche törichterweise dir zu helfen, doch die Chancen sind gering. Sag mir ehrlich, hast du ihn geschlagen?“
„Nein, ich habe ihn nicht geschlagen“, antwortete ich konzentriert.
„Warum versuchst du, mich zu belügen, mir ist doch alles klar“, sagte er. „Wie du siehst, habe ich kein Tonband. Was du sagst, wird nicht aufgezeichnet.“
Er schlug mir wohlwollend auf die Schulter.
„Eine Freiheitsstrafe ist dir so gut wie sicher. Wenn du dich weiter so verhältst, werde ich dir nicht helfen können.“
Unter dem Sozialismus wurde nie ein Anwalt gebraucht. Man wünschte sich jedoch, dass jemand hilft. Und wenn doch jemand die Rolle des Helfers übernahm, dann offenbarte man sich ihm, obwohl man es nicht wollte. Aber der Fuchs ist für das Huhn kein guter Anwalt. Das habe ich danach erkannt. In diesem Augenblick jedoch wurde ich schwach und erzählte alles. Ein Mensch wollte mir helfen und mich retten. Ich klammerte mich erneut an die Zukunft, und aus Angst um diese Zukunft macht ich eine Dummheit. Der Untersuchungsrichter machte mich sehr einfach von sich abhängig. Einerseits zeichnete er schreckliche Perspektiven auf, andererseits die Möglichkeit der Rettung. Und mit jeder Emotion der Angst, Kränkung und Hoffnung geriet ich immer mehr unter seine Macht und redete mich immer mehr rein.
„Übrigens, der Nachbar hat gesagt, dass noch zwei Personen anwesend waren und gesehen haben, wie du ihn geschlagen hast. Sie haben zu Protokoll gegeben, dass sie nichts gesehen und gehört haben. Standen sie daneben oder vor der Tür?“
„Nein, sie waren wirklich nicht in der Nähe, sie haben nichts gesehen und gehört.“
Der Untersuchungsrichter lachte.
„Nun, mein Junge, gib es doch zu! Dein Nachbar ist doch normal. Ja, er ist Alkoholiker, aber doch nicht verrückt. Du verstehst doch, dass er sich deine Freunde, die im Korridor standen, nicht eingebildet hat. Du hast mir doch alles erzählt, warum stellst du dich jetzt bockig?“
„Hören Sie, sie waren wirklich nicht da.“
In diesem Augenblick geriet ich innerlich in quälenden Zwiespalt. Einerseits wollte ich die Freunde nicht in Erklärungsnot bringen, andererseits würde der Kontakt zu dem Untersuchungsrichter abreißen und mir die Möglichkeit genommen,
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