Liebe auf Dauer
bewundernde Muse wahr, kann jedoch nicht akzeptieren, dass sie »in der Unterwelt« eine andere geworden und durch eine eigene Entwicklung gegangen ist. So dreht er sich nach ihr um, um sie wieder unter seine Kontrolle zu bringen, und verliert sie dadurch endgültig (vgl. dazu Jellouschek 2001, S. 87–102).
Interesse, Neugier, Staunen
Wir kennen den anderen, auch wenn wir heftig in ihn verliebt waren oder sind, noch sehr wenig, ja wir werden ihn niemals wirklich »durch und durch« kennen lernen. Das heißt aber: Ich muss mich darauf einstellen, dass mein Mann, meine Frau – nicht nur im Sexuellen, wie uns seinerzeit Oswald Kolle nahezubringen suchte – ein »unbekanntes Wesen« ist. Ein unbekanntes Wesen, das es erst kennen zu lernen gilt. Damit ich nicht – wie so mancher »Orpheus« männlichen und weiblichen Geschlechts – böse Überraschungen erlebe, ist es darum von Vornherein besser, mich mit einer gewissen Entdeckerlust auf den anderen einzulassen. Dazu gehören: Interesse am anderen und eine gewissermaßen »ästhetische Haltung« ihm gegenüber.
Was ist damit gemeint? Um ein etwas banales (aber zugleich auch »basales«) Beispiel zu wählen: Wenn ich merke, dass der Partner das Geschirr in der Ablage lieber bis morgen früh stehen lässt, während ich mir angewöhnt habe, es sofort abzutrocknen und wegzuräumen, habe ichdie Wahl, entweder darüber befremdet zu sein und es zu kritisieren, oder ich kann mit Interesse feststellen, dass der andere in diesem Punkt anders ist als ich, und ich kann zu ergründen suchen, warum. Er hat vielleicht sogar gute Gründe für sein Verhalten, zum Beispiel, dass das Geschirr so abtropfen kann und ein Abtrocknen gar nicht mehr nötig ist … Statt den anderen zu »kolonialisieren«, mache ich so einen Schritt aus meiner Welt heraus in die Welt des anderen, und unter Umständen erweitere ich auf diese Weise sogar meine eigenen Sichtweisen und Handlungsoptionen.
»Ästhetische Einstellung« dem anderen gegenüber: Das heißt, ich beobachte mit Neugier, Interesse und Staunen das Anderssein des anderen. »Aha, du machst das so. Interessant, so ist das bei dir! Wie kommt es, dass du das so machst, dass du dazu diese Meinung hast, dass du dich in diesem Zusammenhang so verhältst …?« Ich beginne den anderen und seine Welt zu erforschen. Ich gehe nicht mehr davon aus, dass er genau so ist wie ich, sondern ein anderer …
Das bekommt der Liebe sehr gut. Denn Liebe hat doch damit zu tun, dass ich aus mir heraus auf den anderen zugehe, dass ich den anderen nicht »mir einverleibe«, sondern mich dem anderen »hin-gebe«. Durch das Anderssein des anderen, wenn ich mich mit Neugier, Interesse und »ästhetischer Haltung« dem öffne, werde ich aus meinen – oft ja recht engen – Ichgrenzen herausgelockt auf eine spannende Reise in das weite Land des anderen. Das tut dem anderen gut, weil er sich so in seiner Eigenart respektiert und geachtet fühlt, und das tut auch mir gut, weil ich ein wenig mich selber lassen lerne.
Wenn wir uns auf solche Weise aktiv um die Eigenart(en) des anderen kümmern, lernen wir etwas ganz Wesentliches für die Partnerliebe, nämlich Empathie, Einfühlung. Einfühlung heißt, um ein Bild von R.Welter-Enderlin (1996) zu gebrauchen, »mich in die Schuhe des anderen stellen«. Ichgehe aus mir heraus auf seine Seite und betrachte vorübergehend nicht mehr aus meiner, sondern aus seiner Perspektive die Welt. Wenn Kurt erlebt, dass Lisa dazu neigt, pausenlos zu reden, ohne dass dabei viel Information herüberkommt, und ihn das zu nerven beginnt, kann er verstehen lernen, dass es ihr nicht auf die Information ankommt, sondern dass sie auf diese Weise Kontakt sucht und Verbindung herstellen will. Und wenn Kurt dazu neigt, sich für Lisas Geschmack allzu oft und zu lang hinter seine Bücher zu verkriechen, kann sie verstehen lernen, dass er diesen Rückzug braucht, um den Kontakt zu sich selber nicht zu verlieren. Jeder beginnt den anderen aus seiner Eigenart heraus zu verstehen. Das ermöglicht Akzeptanz, und es trägt unter Umständen sogar zur Erweiterung des eigenen Repertoires bei: Kurt kann an der Eigenart Lisas lernen, etwas mehr aus sich herauszugehen, und Lisa, gewisse Rückzugsphasen auch für sie wichtig und gewinnbringend zu entdecken.
Sich in die Schuhe des anderen stellen, die Dinge aus seiner Perspektive betrachten lernen, gerade dort, wo ich auf sein Anderssein stoße, das ist ein wesentliches Element einer dauerhaften Partnerliebe.
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