Liebe auf Dauer
bleiben? Führt der hier vertretene Grundsatz nicht zu einer die Liebe gefährdenden Entzauberung des anderen?
Keine Sorge! Der andere wird mir immer auch ein Geheimnis bleiben. Wie ich meine, deutlich gemacht zu haben, geht es bei der vorgeschlagenen Entdeckung des anderen nicht um eine kaltschnäuzige und distanzierte Analyse. Es ist ein Erforschen und Entdecken aus einer Haltung liebenden Interesses. Begegne ich dem anderen in dieser Haltung, tun sich mir immer wieder neue Welten auf. Je mehr ich ihn mir vertraut mache, desto mehr erlebe ich ihn auch als etwas Geheimnisvolles, das immer wieder anziehend bleibt und von neuem anziehend wird.
Richtig ist zweifellos: Wenn einer vom Partner sagt, »Ich kenne ihn oder sie in- und auswendig«, dann will er damitoft begründen, dass nicht mehr »viel los« ist in der Beziehung, meist vor allem im sexuellen Bereich. Meiner Erfahrung nach ist dieses Kennen allerdings eher ein Sich-an-denanderen-gewöhnt-Haben, den anderen in den grauen Alltag eingereiht haben, ihn wie eines der täglichen und gebrauchten Möbelstücke zu erleben, deren Anwesenheit man selbstständig voraussetzt, deren Existenz einem aber gar nicht mehr so recht bewusst ist. Diese Art von »Kennen« tötet auf die Dauer die lebendige Liebe tatsächlich, und wenn es überhandnimmt, ist es gerade angesagt, sich auf den Weg eines neuen Kennenlernens zu begeben, neue Begegnung zu wagen, sich mit dem Herzen dem anderen wieder zuzuwenden. Nicht selten passiert genau das durch eine Krise, die alles bisher Gewohnte durcheinanderwirbelt. Vielleicht aber könnte man manche Krise vermeiden, wenn man schon ohne eine solche immer wieder die Entdeckungsreise in das unbekannte Land des anderen wagen würde.
Es gibt Menschen, die wollen nicht über ihre Vergangenheit reden. Manchmal haben sie auch so gut wie keine konkreten Erinnerungen daran. Auf jeden Fall ist ihnen das Thema Vergangenheit und Herkunftsfamilie höchst unsympathisch. Hieße das, zu solchen Menschen wird immer eine Distanz bleiben und würde eine Beziehung sehr beeinträchtigt?
Manchmal sind Partner solcher Menschen so sensibel und intuitiv, dass sie trotzdem die wesentlichen Dinge beim anderen »ahnen« und sie mit großem Einfühlungsvermögen berücksichtigen. Aber wenn jemand nicht über solche Fähigkeiten verfügt, macht es ihm der, der nicht über sich und seine Vergangenheit sprechen will, sehr schwer. Die Gefahr, dass eine Fremdheit bleibt, die nicht überwindbar ist und bestehen bleibt, ist dadurch gegeben.
Die andere Gefahr ist, dass die Beziehung eine sehr einseitige Angelegenheit wird: Der eine, meist die Frau, ahnt und erfasst und berücksichtigt alles Mögliche beim Partner,und dieser, meist der Mann, bleibt in sich hermetisch abgeschlossen wie ein Turm ohne Fenster. Eine Zeit lang mag das gut gehen, vielleicht gibt es dem Verschlossenen sogar das Flair des Faszinierenden und Interessanten. Aber auf die Dauer wird es, wie schon erwähnt, ein Ausbeutungsverhältnis, und wenn die Frau dann einem offenen, mitteilsamen Mann begegnet, kann die Beziehung sehr rasch zu Ende sein, und der frühere Partner bleibt einsam in seinem Turm zurück.
Manche Menschen haben schlimme, entwürdigende Dinge in ihrer Kindheit erlebt, wie Gewalt und Missbrauch. Manche haben auch Dinge getan, derer sie sich heute schämen und über die sie deshalb nicht reden wollen. Soll man das alles dem anderen offenbaren? Kann es nicht sein, dass er sich dann geschockt abwendet?
Was heute wirklich keine Rolle mehr spielt, was wirklich vergangen ist, muss ich nicht offenbaren. Ich »muss« überhaupt nichts offenbaren. Es geht vielmehr darum, dem anderen nahzukommen und den anderen nahe an mich heranzulassen. Was in meiner Gegenwart keine Rolle mehr spielt, was in diesem Sinn wirklich vergangen, weg ist, muss ich nicht hervorholen, weil es in meinem Hier und Jetzt nicht mehr vorkommt. Es geht hier um die Dinge, die in meine Gegenwart hereinwirken, die mich bedrängen, beeinflussen, manchmal umtreiben … In den meisten Fällen wird das bei erlebter Gewalt und erlittenem Missbrauch so sein, aber wie jeder weiß, gibt es da noch viel mehr und Subtileres, das von dieser Art ist: Es fließt in mein Verhalten und in die Art, wie ich bin und mich gebe, auf vielfache Weise ein. Es geht, auch bei Dingen, die ich nicht erlitten, sondern selber zu verantworten habe, um die unerledigten Angelegenheiten, die immer noch meine Seele und mein Gemüt bedrängen, beschäftigen, mich
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