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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Verstehen wir uns?«
    »Nein!«
    »Egal! Nehmen wir unsere Plätze ein!«
    Sie gingen langsam in die Mitte des Saales und stellten sich Rücken an Rücken auf. Dann hoben Sie die Pistolen mit angewinkelten rechten Armen noch.
    »Fertig?« fragte der General.
    »Ja.«
    »Los!«
    Sie gingen geradeaus, voneinander weg. Jeder zählte leise mit: »Eins, zwei, drei, vier, fünf …« Fünf Schritte, dann eine Kehrtwendung. Wie nahe zehn Schritte sind, dachte Gregor, als er Michejew vor sich stehen sah. Auf diese Entfernung treffe ich ihn, wohin ich will. Aber er hat den ersten Schuß …
    Sie hatten alle recht: von Eimmen, von Semrock und die anderen Offiziere: Michejew kennt keine Gnade. Der erste Kuß in der Silvesternacht auf der Terrasse war das Todesurteil gewesen. Er hatte es nie glauben wollen – jetzt sah er durch ein kleines dunkles Loch in den Tod! Michejew hatte die Pistole erhoben und zielte genau auf Gregors Stirn.
    Er schloß die Augen. Ich habe nie darüber nachgedacht, wie es sein könnte, wenn man plötzlich sterben muß, dachte er. Ich habe immer nur an das Leben gedacht! Das ist das Vorrecht der Jugend. Leben! Wie, wann und wo man einmal stirbt, das waren Gedanken, die er eigentlich nur einmal gehört hatte, damals, als er sein Offizierspatent überreicht bekam und der General von Zachwitz zu den jungen Leutnants sagte: »Meine Herren, möge Ihnen beschieden sein, nicht wie ein Tattergreis im Bett zu sterben – sondern auf dem Felde der Ehre für unser geliebtes deutsches Vaterland und für den Kaiser das Leben hinzugeben. Hurra! Hurra! Hurra!« Von da an hatte Gregor der Tod nicht mehr beschäftigt.
    Und nun stand er ihm plötzlich gegenüber, und es war der sinnloseste Tod von allen. Gefallen in einem Duell mit einem Vater, der in der Tradition erstarrt war.
    Michejew zielt genau auf Gregors Stirn. Er krümmte den Zeigefinger, aber bevor er den Hahn ganz durchzog, riß er die Pistole hoch. Der Schuß donnerte in dem Saal wie ein Kanonenschlag, die Kugel krachte in die Decke, Stuckfetzen flogen herum, und Gipsstaub rieselte auf das blitzende Parkett.
    Erstaunt öffnete Gregor die Augen. Michejew stand mit der rauchenden Pistole in der Hand da und nickte ihm zu.
    »Jetzt Sie, Gregorij Maximowitsch! Meine Hand zitterte … ich bin eben doch schon ein alter Mann …«
    Gregor überlegte nicht lange. Er riß seine Waffe hoch und schoß seine Kugel ebenfalls in die Stuckdecke. Dann ließ er die Pistole sinken. »Laden wir wieder?« fragte er.
    Michejew legte die Waffe auf den Tisch. »Wir wollen es nicht übertreiben. Die Sache ist ausgestanden. Was können wir dafür, Gregorij Maximowitsch, daß wir beide so miserable Schützen sind!«
    Er ging zu Gregor, nahm ihm die Waffe aus der schlaffen Hand und warf sie hinter sich. Sie schepperte über den Boden und blieb vor einem der hohen Fenster in der blanken Sonne liegen.
    »So …«, sagte Michejew und nahm Gregors Arm, »und jetzt unterhalten wir uns über Grazina. Der Vater und der junge Mann, den sie liebt. Und auch das ist nicht so einfach, wie Sie vielleicht denken, Gregorij Maximowitsch. Sie haben einen unausrottbaren Fehler: Sie sind Deutscher!«
    »Aber Wladimir Alexandrowitsch …« Gregor starrte Michejew entgeistert an. »Ich verstehe Sie nicht! Ihre Zarin selbst ist eine gebürtige Deutsche …«
    »Setzen wir uns«, sagte Michejew. »Rußland war immer ein kompliziertes Land, und die Menschen sind's nicht weniger. Sie sind ein deutscher Offizier und wollen eine russische Comtesse heiraten! Was werden Sie tun, wenn es zwischen Deutschland und Rußland zu einem Krieg kommt?«

III
    Die Welt sah so friedlich aus in diesen Januartagen des Jahres 1914, daß man jeden in ein Irrenhaus gesperrt hätte, der behauptete, noch in diesem Jahr gäbe es einen Krieg, in den fast alle europäischen Nationen verwickelt würden. Zwar gab es in allen Völkern einige Politiker und Stammtischbrüder, die supernationale Töne hervorstießen: die einen sagten, der Franzose werde wieder zu frech, es müsse ein neues 1871 geben; die anderen meinten, Englands Arroganz als Seemacht stinke zum Himmel, dagegen müsse man etwas tun; und wenn des deutschen Kaisers liebstes Kind die Marine sei, so wisse er schon, was er plane …
    Überhaupt die Deutschen! Jetzt schielten sie schon auf das weite Land im Osten und erinnerten an die deutschen Ritterorden, die so viel getan hatten, um aus Urwäldern und Sümpfen fruchtbaren Boden zu machen. Deutschland wurde zu klein – wo war

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