Unternehmen Pegasus
1.
Ich lag am Rande einer Lichtung, als mehrere Schüsse durch die Morgendämmerung peitschten.
Der kapitale Hirsch wurde herumgerissen und in den Schnee geschleudert. An der Wirkung erkannte ich, daß Explosivgeschosse verwendet wurden.
Ich fühlte mich wie betäubt. Seit Tagen hatte meine Aufmerksamkeit diesem stolzen Tier gegolten. Viele Stunden hatte ich im Schnee gelegen, um es hier im schweigenden Winterwald zu beobachten.
Bereits während der frühen Morgendämmerung hatte ich mich herangepirscht, um einige Aufnahmen von dem Hirsch mit seinen kraftvollen und doch so eleganten Bewegungen zu machen.
Es war schon Winter geworden in Nordkanada. Vorsichtig hatte mein Hauptdarsteller die windgeschützte Lichtung betreten, auf der es keine Schneeverwehungen gab. Hier konnte er noch Nahrung finden. Das schien er gewußt zu haben.
Als ich gerade den Verschluß meiner Kamera betätigen wollte, kamen plötzlich die Schüsse.
Jemand hatte ein volles Magazin durch den Lauf einer vollautomatischen Maschinenwaffe verfeuert.
Noch immer verharrte ich am Fuße der Tanne. In einer Entfernung von knapp dreißig Meter lag »mein« Hirsch. Ich verhielt mich solange ruhig, bis die Gesellschaft lachend aus dem Wald trat.
Zuerst erblickte ich einen korpulenten Mann, der in seinem kostbaren Winterpelz nicht nur lächerlich, sondern auch abstoßend wirkte. Mühevoll stapfte er durch den Schnee.
Hinter ihm kamen die anderen Leute. Sie bemühten sich übereifrig, dem anscheinend angesehenen und einflußreichen Jäger ihre Bewunderung auszusprechen.
»Hervorragend geschossen, Senor Kastro«, rief ein junger Mann. »Wirklich, Senor Kastro, das hätte ich nicht gekonnt. Genau aufs Blatt getroffen.«
Der Dicke lachte geschmeichelt. Keuchend kam er bei dem Hirsch an. Während er seine Beute begutachtete, meinte er jovial, natürlich lege er nur Wert auf das Geweih. Ob jemand eine Ahnung hätte, wie man den »Huthalter« vom Schädel lösen könnte.
Die Bemerkung löste allgemeines Gelächter aus Ich rührte mich nicht. Die Heiterkeit und Ausgelassenheit war mir unverständlich.
Gefühle kamen in mir auf, die mich an der Menschheit zweifeln ließen. In meinem Unterbewußtsein regten sich bedrückende Erinnerungen. Ich sah mich am Strahlrudersteuer eines Mondjägers sitzen und im Sturzflug auf einen Krater hinabstoßen. Vor meinem geistigen Auge entstand wieder das Bild der flammenden Hölle, die ich mit dem Abwurf einer Wasserstoffbombe ausgelöst hatte.
Vor ungefähr vier Wochen hatte mich eine Transportrakete der Mondflotte auf die Erde zurückgebracht. Im Hauptquartier der Geheimen-Wissenschaftlichen-Abwehr hatte unser Chefpsychiater nach meiner Untersuchung General Reling den Rat gegeben, mich wenigstens vier Wochen lang in eine Gegend zu schicken, wo es keine Menschen gab.
Am 26. 10. 2002, zwei Stunden nach dieser Unterredung, war ich abgeflogen, um mich in der Einsamkeit von den Strapazen meines letzten Einsatzes zu erholen und Abstand von den Ereignissen zu gewinnen.
Man hatte mir eine Maschine zur Verfügung gestellt. Mit zwölffacher Schallgeschwindigkeit war ich nordwärts geflogen und schließlich in Kanada gelandet.
Am Großen Sklaven-See, zehn Meilen südlich von Fort Rae, hatte ich eine Blockhütte gefunden, die mir der Eigentümer für einige Wochen zur Verfügung stellte.
Seit dieser Zeit war ich allein gewesen. Ich hatte am offenen Holzfeuer gesessen und auf den Sturm gelauscht, der um das Haus tobte. Tagsüber hatte ich die ausgedehnten Wälder durchstreift und allmählich mein seelisches Gleichgewicht
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