Liebe in St. Petersburg
…«
Die Unterhaltung versiegte. Gregor suchte verzweifelt nach einem neuen Anfang; es war für ihn eine ungewohnte Situation, denn immer, wenn er mit einer Dame sprach, war sie es bisher, die das Gespräch mit koketter Eleganz in ganz bestimmte Richtungen lenkte …
Das Ballett näherte sich seinem Ende. Danach würde der Zar den Ball eröffnen, und es war sicher, daß dann Grazina Wladimirowna wieder unter der Aufsicht ihres Vaters stehen würde. Daß sie jetzt hier allein an einer Säule lehnte, war ein Glücksumstand, der sich nicht wiederholen würde.
»Die Polonaise, Comtesse …«, sagte Gregor von Puttlach. Ihm fiel nichts Besseres ein.
Sie sah ihn plötzlich voll an, und er bemerkte jetzt, daß sie graugrüne Augen hatte, unergründlich wie das Meer.
»Warum?« fragte sie.
Es war eine Frage, die Gregor völlig aus aller Sicherheit warf. Sein Charme, in den Salons von St. Petersburg fast sprichwörtlich geworden, brach plötzlich zusammen und machte einer geradezu jungenhaften Verlegenheit Platz. Seine Hände waren ihm im Wege, er hatte das Gefühl, falsch zu stehen und eine ziemlich dumme Figur zu machen … das vollkommene Gefühl von Minderwertigkeit deckte ihn zu.
»Sie … Sie tanzen doch so gern, Comtesse …«, sagte er stammelnd und wußte im gleichen Augenblick, wie dämlich diese Antwort war.
Da lächelte sie. Tatsächlich, sie lächelte, und in ihre Augen sprang ein glitzernder Funke. Der Kopf mit dem langen blonden Haar, den eingeflochtenen roten Rosen und darübergelegten Goldfäden wandte sich wieder dem Saal zu. Dort unterhielt sich Graf Michejew mit den Fürsten Jussupoff, von dem man wußte, daß er ein Feuerwerk abbrennen würde, wenn man ihm Rasputin gesotten oder gebraten auf einem Tablett servieren würde. Anna Petrowna Michejewa unterhielt sich noch immer mit der Wyrobowa, was im Saal allgemein registriert wurde. Sieh an, die Michejews! Sie haben es erreicht, sie stehen im Dunstkreis des Zaren! Wird wohl bald eine Armee befehligen, der gute Wladimir Alexandrowitsch! Und seine schöne, behütete, sonst nie sichtbare Tochter … Welcher Fürstensohn kommt wohl in Frage, wenn die Michejews erst in Zarskoje Selo aus und ein gehen? Wo steckt sie überhaupt, diese Tochter? Ah, da drüben an der Säule! Wer ist denn bei ihr? Der Deutsche! Dieser Gregor von Puttlach! Sicherlich nur ein Zufall. Einen deutschen Oberleutnant würde ein Michejew aus dem Haus prügeln, wenn er seiner Tochter … Einfach undenkbar!
»Die Polonaise gehört Ihnen, Herr Oberleutnant«, sagte Grazina Wladimirowna in diesem Augenblick. »Wenn es Vater erlaubt …«
»Warum sollte er nicht? Bin ich ein Ungeheuer?«
Sie lachte. Es klang hell und unbefangener, als es Gregor erwartet hatte. »Darf ich Ihren Fächer haben, Comtesse?« fragte er.
Sie reichte ihm den Fächer hin. Er klappte ihn auf und betrachtete die kunstvolle Intarsienmalerei auf den einzelnen Elfenbeinlamellen.
»Er ist eigentlich zu schade«, meinte Gregor.
»Was ist zu schade?« Sie hatte ihn genau beobachtet und wußte auch, was er meinte. Trotzdem fragte sie es, als habe sie seine Andeutung nicht verstanden.
»Den Fächer vollzuschreiben. Ich möchte jeden Tanz an diesem Abend für mich reservieren, Comtesse. Auf jedem freien Platz des Fächers sollte ›Gregor‹ stehen …«
Sie lachte. »Wäre das nicht ein bißchen langweilig?«
»Wir sollten es versuchen.« Er klappte den Fächer zusammen und gab ihn ihr zurück. Sie zögerte etwas, als sie ihn nahm. In ihren graugrünen Augen lag Erstaunen.
»Sie schreiben Ihren Namen nicht einmal hinein?«
»Nein!« Er lachte sie an, und plötzlich war etwas zwischen ihnen, was beiden unerklärbar war, was beide noch nie gespürt hatten und was beide mit einem Gefühl kostbarer Wärme durchflutete. »Ich hoffe, den Anfang des neuen Jahres an Ihrer Seite zu erleben, Comtesse. Dazu brauche ich doch keinen Fächer vollzumalen, zumal ich eine schreckliche Schrift habe.«
Sie lachte wieder mit jenem Glockenton in der Stimme, der Gregors Herz wärmte und erfüllte. Das Ballett verließ den Saal, alles applaudierte, sogar die Zarin, das Orchester wechselte die Notenblätter, der Zar erhob sich langsam, so, als schmerze es ihn zutiefst, ein Fest zu eröffnen, das der Welt Glanz vorspielte, wo die Last der Sorgen erdrückend war.
Man formierte sich zur Polonaise und wartete auf das Zarenpaar. Gregor von Puttlach verbeugte sich wieder knapp vor Grazina Wladimirowna.
»Gehen wir?« fragte er.
»Ich
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