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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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freue mich …«
    Ihr Lächeln wühlte ihn auf. Er fühlte sich zerstört, aber auf eine selige Art, und wünschte sich, nie wieder der Mensch zu sein, der er noch vor einer halben Stunde gewesen war.
    Sie gingen Seite an Seite hinüber und stellten sich an. Vier Paare vor ihnen stand Hauptmann von Eimmen und schaute sich gerade um. Seine Tanzpartnerin war die Tochter des italienischen Botschafters, eine zierliche, von Temperament sprühende Schönheit, die in allen Salons nur ›Vulkanessa‹ hieß. Von Eimmens Blick sagte alles: Du sitzt auf einem Pulverfaß, Gregor! Oder besser – du tanzt dich aus St. Petersburg hinaus. Wirf doch mal einen Blick nach rückwärts. Da steht der alte Michejew und ringt mit sich, ob er seine Tochter nicht von deiner Seite holen soll. Nur die Gegenwart des Zaren und die Aussicht, daß seine Frau Anna Petrowna mit dem Großfürsten tanzen wird, hindern ihn an einem Skandal. Der Alte kocht wie ein Dampfkessel! Du kannst morgen deine Koffer packen, Gregor. Vielleicht versetzen sie dich nach Kamerun? Gerade in den Kolonien brauchen sie gute Reiteroffiziere …
    Die Zarin erhob sich. Der Zar nahm ihre Hand und führte sie an die Spitze der Polonaise. Wieder ging sie wie eine mechanische Puppe, und ihr Lächeln war wie ihr Diadem im Haar: eine Staatsangelegenheit. Ihr Herz war woanders. Bei ihrem Sohn, dem einsamen Zarewitsch, bei dem fernen Rasputin jenseits des Urals, bei den Sorgen um Rußland, das eine Weltmacht werden wollte mit dem Einsatz von Blut und Tränen. Und der Mann, der das alles erträumte und durchsetzen würde, stand hinter ihr als nächster Tänzer: Großfürst Nikolai Nikolajewitsch, lang, hager, mit eisgrauem Bart und kalten Augen.
    Die Zarin hob die Schultern als fröre sie. Das Orchester begann mit der Polonaise. Der Silvesterball 1913 in St. Petersburg war eröffnet.
    Und mit den ersten Marschtakten begann eine Liebe, die zu beschreiben fast unmöglich ist. Denn Liebe ist ein Wort, das man nicht erklären kann. Aber man kann es lesen, in den Augen des anderen Menschen, der das gleiche empfindet. Man kann es spüren durch eine unsichtbare Strahlung, die aufeinandertrifft und sich verbindet. Liebe – das ist eines jener unerklärbaren Gefühle, die Gott dem Menschen mitgegeben hat.
    Es geschah, wie Gregor es von Grazina Wladimirowna erbeten hatte: Sie tanzten die ganze Nacht hindurch miteinander. Sie standen, in Pelze gehüllt, die ihnen Lakaien um die Schultern gelegt hatten, um Mitternacht auf der verschneiten Terrasse, als in Petersburg alle Glocken läuteten und die Böllerschüsse krachten, als von neuem die Zarenhymne ertönte und die Sektkelche hochgehoben wurden, als man den Zaren und Rußland hochleben ließ und auf den Frieden anstieß, obgleich jedermann wußte, wie nahe ein Krieg war …
    Der Klang unzähliger Glocken deckte den Nachthimmel zu, der Schnee glitzerte im Widerschein der tausend Kerzen, die Kälte umklammerte die Gesichter. Trotzdem standen sie draußen im Schnee, blickten in den Himmel und hatten sich untergefaßt, als hätte ihr gemeinsames Leben schon eine Spanne Zeit hinter sich und sie würden sich nicht erst ein paar Stunden kennen …
    »Neunzehnhundertvierzehn …«, sagte Gregor leise und sah Grazina an. Ihr Gesicht war von der Kälte gerötet, ein schmales Oval in dem langhaarigen Fuchspelz der Mantelkapuze. »Ich habe Angst vor diesem neuen Jahr …«
    »Sie kennen Angst, Gregorij?« fragte sie und lehnte sich an ihn.
    »Die Welt ist wie ein Kessel voll gärenden Giftes …«
    »Ich verstehe nichts von Politik. Gar nichts …« Sie lächelte. »Ist das ein Fehler für die Tochter eines Generals?«
    »Rußland hat ein Bündnis mit England und Frankreich.«
    »Ist das so schlimm?«
    »Deutschland hat ein Bündnis mit Österreich.«
    »Jedem sein Bündnis, wie's ihm paßt!« Grazina schob den Pelz etwas aus dem Gesicht. »Oder sagte ich da etwas ganz Dummes?«
    »Im Ernstfall ist Deutschland von Feinden eingekreist.«
    »Rußland ist doch kein Feind Deutschlands! Oberleutnant von Puttlach, was sagen Sie da? Bin ich Ihr Feind?«
    »Grazina Wladimirowna, Sie sind ein lebendiges Wunder!« Gregor beugte sich über ihre Hand und küßte sie. Der Sektkelch, den sie mit der anderen Hand gehalten hatte, fiel aus ihren Fingern und zerschellte im verharschten Schnee.
    »Das ist nicht wahr!« sagte Grazina plötzlich laut.
    Er starrte sie erschrocken an. »Was ist nicht wahr?«
    »Daß es jemals Krieg geben könnte zwischen Rußland und

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