Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge
hinging, war er bei mir. Ich weiß noch, dass ich ein paar Wochen nach diesem Gespräch auf einer Wanderung in den Alpen war. Mit den fünf Kindern, auf die ich aufpasste, ging ich kilometerweit – zumindest kam es mir so vor – an einem Bach entlang. Ich lief hinter ihnen und betrachtete lächelnd ihre Kopftücher und ihre strammen Beinchen in den Kniestrümpfen und Wanderschuhen. Als wir Hunger bekamen, suchten wir uns einen schönen Platz für unser Picknick, in der Nähe einer eingezäunten Weide mit drei mageren Kühen. » Guardate le mucche !«, schrie Alfonso, und alle Kinder rannten zum Holzzaun, um die Kühe zu bestaunen. Als ich unsere Picknickdecke auf dem Gras ausbreitete, ging mir plötzlich durch den Kopf: Jetzt habe ich seit zwei Stunden nicht an Adam gedacht! Aber dann hätte ich mich am liebsten getreten, weil ich natürlich genau in diesem Moment wieder an ihn dachte. Das war der längste Zeitraum, den er mich in meinen Gedanken in Ruhe gelassen hatte. Danach kehrte er wieder zurück, und ich wurde ihn monatelang nicht mehr los.
Als wir acht Stunden später in Pittsburgh landen, schaut der Idiot neben mir auf seine Armbanduhr. Er lehnt sich so dicht zu mir herüber, dass ich seinen Kaffeeatem riechen kann, und fragt mich, ob ich gehört hätte, was der Kapitän über das Wetter gesagt hat. »Schnee«, antworte ich. Er sagt, er sei froh, dass er geschäftlich hier ist und nicht privat, dann faltet er seine Zeitung. Ich blicke aus dem Fenster und studiere den Himmel über Pennsylvania, der um diese Jahreszeit dunkelgrau ist. Schon am Nachmittag wird es dunkel, und in der Stadt hat sich der Schnee wahrscheinlich schon in grauen Matsch verwandelt. Und bei diesem Wetter muss Grandma trauern, denke ich. Ich überlege, ob man vielleicht besser mit der Einsamkeit zurechtkommt, wenn das Wetter schön ist. Aber wahrscheinlich spielt es gar keine Rolle. So oder so wird sich meine Großmutter von Grandpas Tod bestimmt nicht mehr erholen.
Nach sechzig Jahren Ehe ist er ihr Leben. Er ist ihr Ein und Alles. Sie reisten zusammen. Wenn er ein Hörgerät brauchte, bekommt sie auch eines. Jeden Tag weiß sie, dass es vier Uhr ist, wenn er sagt: »Hey, Glo, wie wäre es, wenn du mir einen Martini mixt?« Ihn zu verlieren, tut mir für Grandma genauso weh wie für mich.
Ich stöhne leise, als ich unter meinen Sitz greife, um die Reisetasche herauszuziehen, in die ich für meinen einwöchigen Aufenthalt nur schwarze Kleidung gepackt habe. Mein Chef hat mir eine große Flasche teuren Aceto Balsamico für meine Familie mitgegeben. Rasch trage ich noch Lipgloss auf, da ertönt auch schon das Signal zum Öffnen der Sicherheitsgurte. Der Mann neben mir steht auf und geht, ohne sich zu verabschieden.
In den letzten zwei Wochen sind die Anrufe meiner Eltern so häufig und dringlich geworden, dass es nicht mehr nur Panik sein konnte. Es war offiziell an der Zeit, einen Flug nach Hause zu buchen: Großvater lag im Sterben. Als ich das Haus meiner Großmutter betrete und meine Reisetasche im Wohnraum abstelle, komme ich mir nackt vor, wie in einem Traum, in dem niemand weiß, wie er auf dich reagieren soll. Anscheinend ist meine Ankunft aus Italien das offizielle Signal für meine Tanten, die lachend und Wein trinkend am Esstisch sitzen; für meinen Dad und meine Onkel, die in Anzughemden und Pyjamahosen mit ihren Blackberrys und Smartphones durchs Haus laufen; für meine Cousins und Cousinen, die auf der Couch herumlungern und Zeitschriften lesen oder in der Küche Poker spielen: Der Letzte von uns ist gekommen, von weit her. Die Krankenwache nähert sich ihrem Ende.
Grandma taucht auf und umschlingt mich mit beiden Armen. Ich bücke mich, damit sie sich nicht auf die Zehenspitzen stellen muss, und tätschele ihren Rücken so sanft wie eine frischgebackene Mutter, die ihr Baby beruhigen möchte. Ich habe keine Ahnung, wie man eine Frau trösten soll, die ihren Ehemann verlieren wird, mit dem sie sechs Jahrzehnte verheiratet ist – mich hat es ja schon fast umgebracht, ein paar Monate lang nichts von Adam zu hören. Ich halte sie einfach im Arm. Ihre Haut riecht leicht blumig, und ihr Hörgerät summt in mein Ohr. Als wir uns voneinander lösen, legt sie mir die Hände auf die Schultern und lächelt unter Tränen. Dann räuspert sie sich. »Ich bin sehr froh, dass du es geschafft hast«, sagt sie würdevoll. »Er hat nach dir gefragt.«
»Ich gehe zu ihm, Grandma.« Ich streichle ihr mit dem Daumen über die Wange. »Bist
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