Liebe – wie im Maerchen
und mir ist, geht nur uns etwas an. Halt dich da raus."
"Ich frage mich, ob du das auch unserer lieben Mutter gesagt hast..."
"Bist du deshalb gekommen, Julian? Um herauszufinden, ob ich die Ursache für ihre schlechte Laune bin?"
"Bist du es?"
"Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit sie mich heute früh hierher gefahren hat, und da hatten wir noch andere Gäste im Auto."
"Das ist es also." Julian nickte. "Die Ärmste ist frustriert, weil sie keine Gelegenheit hatte, ihre große Moralpredigt loszuwerden."
"Du meinst die, dass wohlerzogene junge Damen nicht mit lasterhaften Arabern schlafen sollten?" fragte Evie arglos.
Julian seufzte. "Sie besitzt einen unverbesserlichen Standesdünkel."
"Es ist ein kultureller Dünkel", verbesserte Evie ihn. "Denn wenn es nur ein Standesdünkel wäre, würde sie alles daran setzen, diesen schrecklichen Araber dazu zu bewegen, mich zu heiraten. Immerhin ist ein echter Prinz, der im Geld schwimmt, besser als ein verarmter Marquis - gesellschaftlich betrachtet."
"Tatsächlich meinte ich nicht diese Predigt", gestand Julian,
"sondern die, dass ihr beide die Familie nicht in Verlegenheit bringen solltet, indem ihr heute in aller Öffentlichkeit umeinander herumscharwenzelt."
Evie lachte ehrlich belustigt. "Der Tag muss erst noch kommen, an dem Raschid um irgendjemanden herumscharwenzelt - öffentlich oder nicht! Er ist viel zu arrogant, um so tief zu sinken. Eigentlich seltsam, dass Mutter ihn nicht ausstehen kann, denn in dieser Hinsicht sind die beiden sich sehr ähnlich."
Ein erneutes Klopfen an der Tür unterbrach das Gespräch zwischen Bruder und Schwester. Ihre Mutter betrat das Zimmer. Groß, schlank und blond wie die beiden und bekleidet mit einem klassischen hellblauen Chanel-Kostüm, war sie gewiss die eleganteste Bräutigam-Mutter, die man sich vorstellen konnte.
"Ich dachte, dass ich dich hier finde, Julian. Deine Gäste treffen allmählich ein, und es ist Zeit, dass du deinen Platz einnimmst."
Mit anderen Worten, sie wollte mit Evie allein sein, um die erwartete Predigt doch noch loszuwerden. Evie, die sah, dass ihr Bruder es ihr ausreden wollte, drückte ihm warnend die Hand.
Widerstrebend gab er sich geschlagen. Julian wusste genauso gut wie Evie, dass es nur Ärger eingebracht hätte, ihre Mutter ausgerechnet an diesem Tag aufzuregen. Deshalb küsste er Evie liebevoll auf die Wange und verließ das Zimmer, wobei er es sich allerdings nicht verkneifen konnte, seiner Mutter im Hinausgehen einen warnenden Blick zuzuwerfen, bevor er die Tür hinter sich schloss.
Schlagartig wurde die Atmosphäre im Raum fühlbar frostig. "Hast du vor, das anzuziehen?" fragte Lucinda Delahaye.
Evie atmete tief ein. "Ja."
"Nicht ganz das, was ich als angemessen bezeichnen würde, Evie", erwiderte ihre Mutter missbilligend. "Hättest du nicht etwas weniger
... Auffälliges wählen können?"
"Ich verspreche, Christina nicht in den Schatten zu stellen", sagte Evie kühl lächelnd. "Aber du siehst wundervoll aus, Mutter. Der Inbegriff an Anmut und Eleganz."
"Ja ..." Lucinda Delahaye ging zum Kleiderschrank ihrer Tochter, öffnete ihn und begutachtete ungnädig die wenigen Kleidungstücke darin. Evie wusste genau, dass ihre Mutter nach einer Alternative für das rote Kleid suchte - weshalb Evie dafür Sorge getragen hatte, nichts anderes mitzunehmen, was sie zur Hochzeit ihres Bruders hätte anziehen können. Immerhin erlebte sie eine solche Szene nicht zum ersten Mal.
"Ich sehe hier ja nichts für den großen Ball heute Abend", stellte Lucinda schließlich fest.
Traurig fragte Evie sich, ob ihre Mutter ihr je vergeben würde, dass sie sich in den falschen Mann verliebt hatte. Wahrscheinlich nicht.
Sonst hätte Lucinda wohl kaum ganz bewusst die lange goldene Seidenrobe übersehen, deren Herkunft auf Raschid verwies.
Er hatte sie ihr, Evie, vor einigen Wochen von einem Besuch in Behran von einem Einkaufsbummel mit Ranya mitgebracht. Ranya war Raschids Schwester, der Evie sich sehr nahe fühlte, obwohl sie ihr noch nie persönlich begegnet war. Aber sie war genauso alt wie Evie, und Raschid sprach sehr oft von ihr. Zweifellos bewunderte er Ranyas vorbehaltloses Pflichtgefühl - wobei Evie sich nicht sicher war, ob er es auch als bewundernswert empfand, dass Ranyas Mann in London eine heimliche Geliebte hatte. Raschid reagierte meist wie ein typischer Araber und unnahbar, wenn Evie dieses Thema ansprach -
was gewöhnlich nur geschah, wenn sie sich wieder einmal darüber
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