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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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Jever, im Jahre des Herrn 1230
     
    „Herrgott, Anna, wie kann man nur so ungeschickt sein?“ Orttraut funkelte Anna zornig an und schlug mit der flachen Hand auf den Holztisch. Das Talglicht hüpfte und erlosch beinahe.
    „Ich bin wirklich gestraft. Da nehme ich mir ein Lehrmädchen, um ein wenig Erleichterung bei meiner Arbeit zu haben, und es bringt mir nur Ärger und Kosten!“
Und das Lehrgeld, fügte Anna in Gedanken hinzu, hütete sich jedoch, es auszusprechen, denn wenn sie Widerworte gab, würde Orttraut sie schlagen.
    Die Näherin riss Anna die Arbeit aus der Hand, hielt ihr die zwei Teile des Gebendes, an dem sie gearbeitet hatte, unter die Nase und keifte weiter. „Weißt du, was eine Elle von diesem feinen Leinen kostet? Du hast es mit deinen Blutflecken völlig verdorben!“
Schweigend senkte Anna den Blick, den zerstochenen Finger im Mund. Zu Hause nähte sie mit der Linken, das ging ihr schneller von der Hand, und sie stach sich selten. Doch hier in der Nähstube musste sie die richtige Hand benutzen, das hatte sie ihrem Vater versprochen.
Ein eiskalter Luftzug wehte in den Raum. Gilbert!, stöhnte Anna in Gedanken, als die schwere Tür der Nähstube aufgerissen wurde und der Mann ihrer Lehrherrin schwankend auf der Schwelle stand. Gilberts Bierfahne füllte sogleich den kleinen Raum aus. Der Ratsherr war nicht oft betrunken, dann aber ging sie ihm lieber aus dem Weg. Mit glasigen Augen stierte er an Orttraut vorbei auf das junge Lehrmädchen, und eine fleckige Röte stieg ihm ins Gesicht. Einen Augenblick lang geschah nichts. Verwirrt hob Anna den Kopf. Gilberts umnebelter Blick kreuzte den ihren. Verschämt wurde ihr bewusst, dass sie noch immer den Finger im Mund hatte. Hastig nahm Anna die Hände hinter den Rücken.
Mit einem behänden Schritt, die schmalen Lippen fest zusammengepresst, stellte Orttraut sich zwischen ihren Mann und Anna.
„Verschwinde!“, keifte sie das Mädchen an. „Für heute ist es wahrlich genug.“
Ohne ein Wort warf Anna den dünnen Wollumhang über den blonden Schopf und duckte sich an den beiden vorbei. So rasch sie konnte, floh sie durch die offene Tür in die nächtliche Kälte hinaus. Erst als sie beim Zurückblicken den schwachen Schein des Talglichtes in der Nähstube nicht mehr sah, ließ sie ihren Tränen freien Lauf.
    Endlich lag die Baustelle der stattlichen Kirche vor ihr. Das alte Gotteshaus war durch ein Feuer zerstört worden, und ihr Vater, der Baumeister Wille, hatte schon Beachtliches zum Wiederaufbau geleistet. Das Heim des Baumeisters lag dicht neben dem Rohbau, die sorgfältig verhängten Fenster waren wie üblich dunkel. Wulf Wille verbrauchte die teuren Lichter nur zum Arbeiten und Studieren.
    Zitternd vor Kälte legte Anna eine Hand an die Tür, doch ein heftiger Ruck um ihre Taille riss sie zurück. Erschrocken schrie sie auf, dann presste sich eine raue, schmutzige Pranke auf ihr Gesicht und machte jeden weiteren Laut unmöglich.
Anna konnte nicht sehen, wer hinter ihr stand, aber sie wusste sofort, wer sie in seine Gewalt gebracht hatte. Gilberts Gestank hätte sie auf Steinwurfweite wiedererkannt.
Verzweifelt trat sie um sich und versuchte, die Arme loszureißen. Es musste doch möglich sein, dem Griff zu entkommen. Gilbert indes drängte sie dichter an die Wand, warf sie herum und presste sie mit seinem ganzen Körper halb auf das Holz und halb auf den Lehmputz. Die Linke immer noch auf Annas Gesicht, schob er ihr mit der Rechten die Röcke hoch. Sein Mund war nun so dicht vor ihrer Nase, das sie die faulige Ausdünstung seiner abgebrochenen Zahnstumpen einatmen musste. Ein Würgen stieg ihr die Kehle hoch.
    In diesem Augenblick schlug die Tür der Hütte auf. Baumeister Wille stand im schwachen Schein der Laterne da wie ein Racheengel.
Gilbert war nicht zu beirren. Er ließ den Rocksaum über Annas schlanke Beine fallen und nestelte an der ledernen Geldkatze, die gut gefüllt an seinem Gürtel hing. Dann schob er ihr die Hand über die Nase, bis sie keine Luft mehr bekam.
„Komm, Wille, lass mich nur einen Augenblick mit der Kleinen allein! Ich ersetz dir den Schaden. Mit der Börse als Brautgabe findet sie allemal einen Mann – einerlei, ob geritten oder nicht …“
Anna wurde schwarz vor Augen. Dass Wulf Wille auf den Ratsherrn zustürmte, sah sie schon nicht mehr, aber das Klatschen seiner Faust an Gilberts Schläfe drang noch zu ihr durch, bevor sie zu Boden fiel.
    Jemand rüttelte sie. Sie stöhnte und hob die Arme,

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