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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
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bekam ein Stück Sackleinen. Jane ging es nicht viel besser. Es gab kein freies Bett im Gebäude, von einem 1 ½ Meter langen Kinderbett im Krankenzimmer abgesehen. Wie Du weißt, ist sie fast 1,80 lang. Wir steckten sie hinein, und wie ein Taschenmesser zusammengeklappt verbrachte sie die Nacht. Sie ist heute herumgehinkt wie ein altersschwacher Buchstabe S und hat offen über diesen letzten Seitensprung ihrer schweifenden Herrin geklagt. Sie sehnt sich danach, daß wir wieder zu uns kommen und zum elterlichen Herd nach Worcester zurückkehren.
    Ich weiß, daß sie alle meine Aussichten, bei den übrigen Angestellten populär zu werden, zunichte machen wird. Sie hier mitzuhaben, ist der lächerlichste Einfall, den je einer gehabt hat; aber Du kennst meine Familie. Ich habe ihre Einwände Schritt für Schritt bekämpft; Jane war ihre letzte Verteidigungslinie. Wenn ich sie mitbrächte und sie dafür sorgte, daß ich nahrhaftes Essen bekommen und nicht die ganze Nacht aufbleiben würde, durfte ich — zunächst einmal — kommen; aber wenn ich
    mich geweigert hätte, sie mitzunehmen--o je, ich weiß nicht, ob ich je wieder die Schwelle von Stone Gate hätte betreten dürfen! Also sind wir hier, und ich fürchte, keine von uns ist sehr willkommen. Ich wachte heute früh um 6 Uhr durch den Gongschlag auf, blieb liegen und hörte eine Weile dem Lärm zu, den 25 kleine Mädchen im Waschraum über mir machten. Offenbar werden sie nicht ganz gewaschen, sondern nur die Gesichter, aber sie machten genau so ein Geplantsche wie fünfundzwanzig junge Hunde in einem Teich. Ich stand auf, zog mich an und ging auf Entdeckungen aus. Es war sehr gescheit von Euch, daß Ihr mich diesen Ort nicht ansehen ließt, bevor ich die Stelle annahm.
    Als meine kleinen Pflegebefohlenen beim Frühstück waren, schien mir der richtige Augenblick gekommen, mich vorzustellen; also suchte ich nach dem Eßzimmer. Entsetzen über Entsetzen! — — diese eintönigen düsteren Wände, die wachstuchbedeckten Tische mit Blechtassen und -tellern und hölzernen Bänken, und als Dekoration nur der beleuchtete Text „Der Herr wird sorgen!“ Der Aufsichtsrat, der diese letzte Nuance beigesteuert hat, muß einen schneidenden Sinn für Humor besitzen. Wirklich, Judy, ich habe nie gewußt, daß es auf der Welt einen Fleck geben könnte, der so vollkommen häßlich ist. Und als ich diese Reihen von blassen, teilnahmslosen, blau uniformierten Kindern sah, versetzte mir die ganze trostlose Angelegenheit einen solchen Schock, daß ich fast zusammenbrach. Es schien ein unerreichbares Ziel, daß ein einziger Mensch in hundert kleine Gesichter Sonnenschein bringen soll, wo doch eigentlich jedes einzelne eine eigene Mutter braucht.
    Ich habe mich leichtfertig genug in dieses Unternehmen gestürzt, teils weil Eure Überredungskunst so groß war, vor allem aber, wie ich offen gestehe, weil der skurrile Gordon Hallock derartig schallend bei dem Gedanken lachte, daß ich eine Anstalt leiten könnte. Ihr habt mich alle zusammen hypnotisiert. Allerdings, als ich dann anfing das Thema zu Studieren und nachdem ich die siebzehn Anstalten besucht hatte, fing ich natürlich Feuer und wollte meine eigenen Ideen über Waisen in die Tat umsetzen. Im Augenblick aber bin ich entsetzt, hier zu sein. Es ist ein so atemberaubendes Unternehmen. Die Gesundheit und das Glück von hundert menschlichen Wesen liegt in meinen Händen, gar nicht zu reden von ihren drei- oder vierhundert Kindern und tausend Enkeln. Das ist eine geometrische Reihe. Es ist schrecklich. Wer bin ich eigentlich, daß ich so eine Aufgabe übernehme? Sucht, ach sucht doch eine andere Vorsteherin!
    Jane meldet, daß das Abendessen fertig ist. Nachdem ich zwei von Euren Anstaltsmahlzeiten hinter mir habe, hat der Gedanke an eine dritte nichts Aufregendes für mich.
    Später.
    Die Angestellten hatten Hammelhaschee mit Spinat, und Tapioka-Pudding als Nachtisch. An das, was die Kinder bekamen, denke ich lieber nicht.
    Ich hatte angefangen, von meiner ersten offiziellen Rede beim heutigen Frühstück zu berichten. Sie handelte von all den herrlichen Neuerungen, die dank der Freigebigkeit von Mr. Jervis Pendleton, dem Vorsitzenden unseres Aufsichtsrats, und Mrs. Pendleton, der lieben „Tante Judy“ aller anwesenden Mädchen und Buben, dem John-Grier-Heim zugute kommen sollen.
    Bitte, habt nichts dagegen, daß ich die Pendleton-Familie so groß aufmache. Ich tat es aus politischen Gründen. Da sämtliche Angestellten der

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