Lieber Feind
würden. Nein, das stimmt nicht! Ich tue ihm unrecht. Babys, wenigstens männliche Babys, wachsen ja zu Wählern auf.
Lebewohl.
Sallie.
Liebste Judy!
Wenn Du heute einen vergnügten Brief von mir erwartest, dann lies diesen nicht. Unser Lebensweg ist eine winterliche Straße. Nebel, Schnee, Regen, Matsch, Sprühregen, Kälte, — was für ein Wetter, was für ein Wetter! Und Du im heben Jamaica mit Sonne und Orangenblüten!
Wir haben Keuchhusten, und Du kannst uns schon husten hören, wenn Du in zwei Meilen Entfernung aus dem Zug steigst. Wir Missen nicht, woher wir ihn haben, — einfach eine der Freuden des Anstaltslebens. Die Köchin ist fort, in der Nacht verschwunden, — was die Schotten eine „Mondscheinflucht“ nennen. Ich weiß nicht, wie sie ihren Koffer weggebracht hat, aber jedenfalls ist er fort. Das Küchenfeuer ist ebenfalls verschwunden. Die Rohre sind eingefroren. Die Klempner sind da, und der Küchenboden ist aufgerissen. Eines unserer Pferde ist spatig. Und, um allem die Krone aufzusetzen, ist unser lustiger, zu allem bereiter Percy tief, tief, tief unten in den Abgründen der Verzweiflung. Wir waren in den letzten drei Tagen nicht ganz sicher, ob wir ihn vom Selbstmord abhalten könnten. Das Mädchen in Detroit — ich habe ja gewußt, daß es eine herzlose kleine Hexe ist — hat sich, ohne auch nur den Ring zurückzuschicken, an einen Mann, ein paar Autos und eine Jacht verheiratet. Es ist das Beste, was Percy passieren konnte, aber es wird lange dauern, bis er das einsieht.
Wir haben unsere vierundzwanzig Indianer nun wieder bei uns im Haus. Ich habe sie ungern hereingebracht, aber die Hütten waren nicht gerade als Winterquartiere gedacht. Ich habe sie aber sehr bequem untergebracht, dank der geräumigen, eisernen Veranden, die unsere neue Feuerleiter umgeben. Es war eine glückliche Idee von Jervis, daß er sie als Schlafveranden mit Glas versehen ließ. Das Sonnenzimmer der Babys ist ein herrlicher Zuwachs an unserem Kinderzimmer. Wir können direkt sehen, wie die kleinen Stöpsel unter dem Einfluß der zusätzlichen Luft und Sonne aufblühen.
Mit der Rückkehr der Indianer in die Zivilisation war Percys Beschäftigung zu Ende, und er sollte sich eigentlich ins Hotel zurückbegeben. Aber er wollte sich gar nicht zurückbegeben. Er sagt, er habe sich an Waisenkinder gewöhnt und würde sie vermissen, wenn er sie nimmer um sich hätte. Ich glaube, in Wahrheit ist er so unglücklich über die aufgelöste Verlobung, daß er Angst vor dem Alleinsein hat; er braucht etwas, was ihn jeden wachen Augenblick außerhalb seiner Bankstunden beschäftigt. Und wir sind, weiß Gott, froh genug, wenn wir ihn behalten. Er war mit den Jungen großartig, und sie brauchen eben die Hand eines Mannes. Aber was in aller Welt sollten wir mit ihm anfangen? Wie Du letzten Sommer gesehen hast, enthält dieses geräumige Chateau keinen Überfluß an Gastzimmern. Er hat sich schließlich im Laboratorium des Doktors eingerichtet, und die Medizinen haben sich in einen Schrank am Ende des Ganges verfügt. Er und der Doktor haben das untereinander ausgemacht, und wenn sie bereit sind, es gegenseitig unbequem zu haben, so habe ich nichts dagegen einzuwenden.
Erbarmen! Gerade habe ich den Kalender angesehen, es ist der achtzehnte, und in sechs Tagen ist Weihnachten. Wie sollen wir nur alle unsere Pläne in einer Woche ausführen? Die Kücken machen Geschenke für einander, und etwa eintausend Geheimnisse sind in mein Ohr geflüstert worden.
Gestern nacht hat es geschneit. Die Buben waren am Vormittag im Wald und haben Immergrün gesammelt und auf Schlitten nach Hause gefahren; zwanzig Mädchen sind den Nachmittag über im Waschhaus und winden Kränze für die Fenster. Ich weiß nicht, wie wir diese Woche unsere Wäsche fertigbringen sollen. Wir wollten den Weihnachtsbaum geheimhalten, aber ganze fünfzig Kinder sind zum Fenster der Remise emporgehoben worden, um einen verstohlenen Blick darauf zu werfen, und ich fürchte, die Neuigkeit hat sich bereits unter den restlichen fünfzig verbreitet.
Weil Du darauf bestanden hast, haben wir eifrig die Legende vom Nikolaus * ) gepflegt, aber sie findet wenig Glauben. „Warum ist er denn früher nie gekommen?“ war Sadie Kates skeptische Frage. Aber dieses Mal kommt der Nikolaus ganz ohne Zweifel. Ich habe den Doktor aus Höflichkeit gefragt, ob er bei unserem Weihnachtsbaum die Hauptrolle spielen wolle, und war von vornherein sicher, daß er nein sagen werde. Als Ersatz
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