Küsse im Mondschein
1
Upper Brook Street, London 20. Februar 1825
»Es ist hoffnungslos !« Seufzend ließ Amanda Cynster sich auf dem Bett ihrer Zwillingsschwester auf den Rücken plumpsen. »Es findet sich aber auch nicht ein einziger Gentleman in der gesamten Londoner Gesellschaft, der es wert wäre, in Betracht gezogen zu werden - zumindest zurzeit nicht.«
»Ach, es hat doch schon die gesamten vergangenen fünf Jahre keine diskutablen Männer mehr gegeben - na ja, oder jedenfalls keine, die daran interessiert gewesen wären, sich eine Ehefrau zuzulegen.« Amelia, die ausgestreckt neben Amanda lag, starrte nachdenklich in den Betthimmel empor. »Wir haben gesucht und gesucht -«
»Haben praktisch jeden Stein einzeln umgedreht.«
»Und die einzigen Männer, die auch nur halbwegs von Interesse wären... haben wiederum kein Interesse an uns.«
»Es ist unglaublich, einfach unglaublich!«
»Schlimmer noch: Es ist sogar ausgesprochen deprimierend.«
Die Zwillingsschwestern sahen sich sowohl von der Figur als auch von den Gesichtszügen her einander so ähnlich wie ein Ei dem anderen; sie waren gesegnet mit goldblonden Ringellocken, kornblumenblauen Augen und einem porzellanzarten Teint und hätten ohne Weiteres für La Belle Assemblée Modell stehen können als der Inbegriff der eleganten, wohl erzogenen jungen Dame aus vornehmem Hause - nur dass ihr augenblicklicher Gesichtsausdruck nicht so recht in dieses Bild passte. Amelia blickte nämlich regelrecht angewidert drein, während Amanda eher rebellisch wirkte. »Und trotzdem - ich weigere mich ganz entschieden, meine Ansprüche herunterzuschrauben.«
Was sie von ihrem zukünftigen Ehemann erwarteten und welche Eigenschaften und Vorzüge dieser aufzuweisen haben sollte, darüber hatten die Zwillinge im Laufe der Jahre bereits schier endlose Diskussionen geführt. Dabei unterschieden ihre Ansprüche und Maßstäbe sich nicht wesentlich von denen, die auch ihre Ratgeberinnen für angemessen hielten - als da wären ihre Mutter und Tanten und natürlich die Ehefrauen ihrer Cousins. Amanda und Amelia waren umgeben von starken Frauen, ausnahmslos Damen der Gesellschaft, die allesamt Glück und Zufriedenheit in ihrer Ehe gefunden hatten. Daher stand für die Zwillinge ziemlich zweifelsfrei fest, welche Qualitäten der Mann ihrer Wahl haben müsste.
Er sollte ein Gentleman sein, der sie aufrichtig liebte, ein Mann von Charakter, für den sie und die Kinder, die sie gemeinsam großziehen würden, stets an allererster Stelle ständen. Ein ritterlicher Beschützer und Helfer in der Not, ein Ehegefährte mit einem starken, verlässlichen Arm, der immer für sie da sein würde und ihnen ein Leben in Sicherheit böte. Ein Mann, der die Fähigkeiten, die Intelligenz und die Ansichten seiner Frau schätzte und respektierte, und der sie stets als eine gleichberechtigte Partnerin akzeptierte; ganz egal, wie sehr er selbst auch danach streben mochte, Herr und Meister seiner Welt zu sein. Ein Gentleman mit ausreichend großem Vermögen, um gar nicht erst den Verdacht aufkeimen zu lassen, dass er es in erster Linie auf Amandas und Amelias nicht unbeträchtliche Mitgift abgesehen haben könnte. Ein Mann aus ihrer gesellschaftlichen Sphäre, der über ausreichend einflussreiche Verwandte und gute Beziehungen verfügte, um es sogar mit dem mächtigen Cynster-Clan aufnehmen zu können.
Kurzum, ein Mann voller Leidenschaft und mit viel Familiensinn - Geliebter, Beschützer, Weggefährte. Ehemann.
Amanda schürzte nachdenklich die Lippen. »Es muss doch da draußen irgendwo wenigstens noch ein paar Männer geben, die sich mit unseren Cousins messen können.« Sie sprach von den Bar Cynsters, jener berühmt-berüchtigten sechsköpfigen Gruppe von Herzensbrechern, die sich so lange Zeit über sämtliche Regeln und Gepflogenheiten der Londoner Gesellschaft einfach hinweggesetzt und dabei zahllose junge Damen sehnsüchtig schmachtend hinter sich zurückgelassen hatten - bis schließlich das Schicksal eingriff und ihre Herzen in der Falle der Liebe fing. »Sie können doch nicht einzigartig sein.«
»Sind sie ja auch nicht. Denk nur mal an Chillingworth.«
»Stimmt - aber wenn ich an den denke, denke ich automatisch an Lady Francesca, also hilft mir das auch nicht sonderlich viel weiter. Denn Chillingworth ist bereits vergeben.«
»Außerdem ist er sowieso zu alt für uns. Wir brauchen beide jemanden, der uns altersmäßig näher steht.«
»Aber nicht zu nahe - ich habe reichlich genug von diesen
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