Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
Vom Netzwerk:
wieder in die Stadt zurückgekehrt und fährt nächste Woche nach Jamaika, wo sie ihr Hauptquartier aufschlägt, während Jervis in den angrenzenden Gewässern herumkreuzt und den anziehenden, neuen Unternehmungen, die er vorhat, nachgeht. Könntest Du keinen Handel in der Südsee anfangen? Ich glaube, das Verlassen meiner Anstalt würde mir leichter fallen, wenn Du mir etwas Romantisches und Abenteuerliches anzubieten hättest. Und, denk nur, wie wunderschön Du in den weißen Leinenanzügen aussehen würdest! Ich glaube wirklich, ich könnte auf Dauer in einen Mann verhebt bleiben, wenn er immer in Weiß gekleidet wäre.
    Du kannst Dir nicht vorstellen, wie ich Judy vermisse. Ihr Fortsein hinterläßt eine schreckliche Lücke in meinen Nachmittagen. Könntest Du nicht bald einmal zum Wochenende herauf kommen? leb glaube, Dein Anblick würde mich vergnügt machen, und neuerdings bin ich recht herunter. Weißt Du, mein lieber Gordon, ich habe Dich viel lieber, wenn Du gerade vor meinen Augen bist, als wenn ich aus der Entfernung an Dich denke. Ich meine, Du mußt eine Art von hypnotischem Einfluß haben. Zuweilen, wenn Du länger fort warst, nützt sich Dein Zauber etwas ab; aber wenn ich Dich sehe, ist er wieder ganz da. Du warst jetzt sehr lange weg; komm also, bitte, schnell, und bezaubere mich wieder ganz von neuem.
    S.

2. Dezember.
    Liebe Judy!
    Weißt Du noch, wie wir beide im College, wenn wir uns unsere Lieblingszukunft ausdachten, unsere Gesiebter immer südwärts wandten? Und wenn ich denke, daß es jetzt wirklich in Erfüllung gegangen ist und Du dort bist und zwischen den tropischen Inseln herumsegelst! Hast Du je im Leben solch einen Schauer des Entzückens empfunden — abgesehen von ein oder zwei im Zusammenhang mit Jervis — wie in der frühen Morgendämmerung, als Du an Deck kamst und Dich im Hafen von Kingston verankert fandest, und das Wasser so blau, die Palmen so grün, der Strand so weiß waren?
    Ich erinnere mich, wie ich zum erstenmal in jenem Hafen aufgewacht bin; ich hatte das Gefühl, die Heroine in einer großen Oper vor unecht schön gemalter Szenerie zu sein. Nichts auf meinen vier Reisen nach Europa hat mich je so erregt wie die komischen Ecken, Gerüche und Geschmäcker der drei warmen Wochen vor sieben Jahren. Und seitdem habe ich immer zurückkehren wollen. Wenn ich dran denke, kann ich mich kaum dazu zwingen, unsere langweiligen Mahlzeiten herunterzuschlucken; ich möchte Curry-Speisen und Tamalen und Mango essen. Ist das nicht komisch? Man könnte glauben, ich hätte einen Schuß kreolisches oder spanisches oder sonst ein warmes Blut irgendwo in mir, dabei bin ich gar nichts außer einer frostigen Mischung von Englisch, Irisch und Schottisch. Das ist vielleicht der Grund, warum ich den Süden rufen höre. „Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühen?“
    Nachdem ich Euch abfahren gesehen hatte, kehrte ich nach New York zurück, und eine fürchterliche Wanderlust nagte an meinen Eingeweiden. Ich wollte auch gern auf Reisen gehen mit einem neuen blauen Hut, und blauem Kostüm, mit einem Veilchenstrauß in der Hand. Fünf Minuten lang hätte ich aufs fröhlichste dem guten alten Gordon Lebewohl gesagt, wenn ich dafür die weite Welt zum Wandern hätte eintauschen können. Vielleicht findest Du, daß die beiden nicht ganz unvereinbar sind — Gordon und die weite Welt —, aber es scheint mir unmöglich, Deine Auffassung über Ehegatten zur meinen zu machen. Ich sehe die Ehe, so wie ein Mann sie sehen muß; als eine gute, vernünftige Alltagseinrichtung; aber fürchterlich hinderlich für die eigene Freiheit. Irgendwie verliert das Leben, wenn man einmal auf immer verheiratet ist, das Prickeln des Abenteuerlichen. Es gibt keine romantischen Möglichkeiten, die einen hinter jeder Ecke überraschen könnten.
    Die schmachvolle Wahrheit ist, daß mir ein Mann offenbar nicht genügt. Ich liebe die Vielfalt der Gefühle, die man nur bei mehreren Männern haben kann. Ich fürchte, ich habe in meiner Jugend zuviel geflirtet, und es fällt mir nicht leicht, mich festzulegen.
    Meine Feder scheint auch sehr zu wandern. Also zurück: ich sah Euch scheiden und nahm mit einem schrecklich leeren Gefühl die Fähre nach New York zurück. Nach unseren vertrauten redefreudigen drei Monaten, die wir miteinander hatten, ist es eine fürchterliche Aufgabe, meine Beschwernisse in einem Tonfall mitzuteilen, der bis ans Ende des Kontinents zu Dir dringt. Meine Fähre ist genau unter Eurem Schiff

Weitere Kostenlose Bücher