Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
Vom Netzwerk:
besser dran, wenn er gut und passend und heiter verheiratet ist; aber, je o je, ich hasse nun einmal Umwälzungen, und dies wird so eine weltumstürzende Umwälzung sein! Manchmal, wenn die Arbeit des Tages hinter mir liegt und ich müde bin, habe ich nicht mehr Mut genug, ihr entgegenzusehen.
    Und nachdem ihr jetzt auch noch Shadywell gekauft habt und jeden Sommer hier sein werdet, bin ich böse, daß ich fortgehen muß. Nächstes Jahr, wenn ich weit weg bin, wird mich das Heimweh verzehren, sooft ich an alle die geschäftigen, glücklichen Tage im John-Grier denke, an denen Ihr, Betsy und Percy und unser knurriger Schotte, fröhlich ohne mich losarbeitet. Wie kann einer Mutter der Verlust von 107 Kindern je durch irgend etwas ersetzt werden?
    Ich hoffe, daß Judy junior die Reise in die Stadt überstanden hat, ohne daß ihre gewohnte sichere Haltung erschüttert wurde. Ich schicke ihr ein Geschenklein, das zum Teil von mir, aber hauptsächlich von Jane gemacht worden ist. Indessen zwei Reihen stammen, wie ich Dir mitteilen muß, vom Doktor höchst selbst. Nur langsam erfaßt man die Tiefen von Sandys Natur. Nachdem ich den Mann zehn Monate lang kenne, entdecke ich, daß er stricken kann, eine Fertigkeit, die er in seiner Kindheit von einem alten Schäfer auf den schottischen Mooren gelernt hat.
    Er ist vor drei Tagen hereingekommen und zum Tee geblieben, fast in der alten freundschaftlichen Stimmung. Aber inzwischen hat er sich wieder zu demselben granitnen Mann versteift, den wir den ganzen Sommer über gekannt haben. Ich gebe den Versuch auf, ihm auf den Grund zu kommen. Aber ich nehme an, daß jeder etwas herunter sein darf, der eine Frau im Irrenhaus hat. Ich wollte, er würde einmal darüber reden. Es ist schrecklich, wenn man solch einen Schatten im Hintergrund aller Gedanken schweben hat, der nie zu Gesicht kommt.
    Ich weiß, daß dieser Brief nicht ein Wort über die Ereignisse enthält, die Du gerne hören möchtest. Doch es ist gerade die widerhehe Dämmerstunde eines feuchten Novembertags, und ich bin in scheußlich unerfreulicher Laune. Ich habe furchtbar Angst, daß ich mich zu einer launischen Person entwickle, und der Himmel weiß, daß Gordon schon so viel Temperament liefert, wie die Familie brauchen kann! Ich weiß nicht, wo wir hinkommen sollen, wenn ich nicht mein vernünftiges, gesetztes, heiteres Wesen bewahre.
    Bist Du wirklich entschlossen, mit Jervis in den Süden zu reisen? Ich kann es Dir (bis zu einem gewissen Grad) nachfühlen, daß Du nicht von Deinem Mann getrennt sein willst; aber es ist doch einigermaßen kühn, eine so junge Tochter in die Tropen zu bringen.
    Die Kinder spielen im unteren Gang Blindekuh. Ich werde ein wenig mit ihnen herumtollen, um in einer freundlicheren Stimmung zu sein, ehe ich wieder mit Schreiben anfange.
    A Bientôt!
    Sallie.

    PS. Die Novembernächte sind ziemlich kalt, und wir bereiten uns darauf vor, die Läger hereinzuverlegen. Unsere Indianer sind zur Zeit sehr verzärtelte junge Wilde, mit einer doppelten Ausrüstung von Decken und Wärmflaschen. Ich nehme höchst ungern von den Lägern Abschied. Sie haben uns viel genutzt. Unsere Buben werden, wenn sie hereinkommen, so zäh sein wie kanadische Trapper.

20. November.
    Liebe Judy!
    Deine mütterliche Sorge ist süß, aber ich habe nicht gemeint, was ich gesagt habe. Natürlich ist es ganz ungefährlich, Judy junior in die temperiert tropischen Gestade zu bringen, die vom Karibischen Meer bespült werden. Sie wird gedeihen, solange Ihr sie nicht mitten auf den Äquator setzt. Und Euer Bungalow unter dem Schatten der Palmen und dem Fächeln des Meerwinds, mit der Eismaschine im Hof und dem englischen Doktor auf der anderen Seite der Bucht, klingt, als sei es eigens für das Großziehen von Babys erdacht.
    Meine Einwände entsprangen der selbstsüchtigen Tatsache, daß ich und das John-Grier diesen Winter ohne Dich einsam sein werden. Ich finde es wirklich hinreißend, einen Mann zu haben, der so malerischen Beschäftigungen nachgeht wie das Finanzieren von tropischen Eisenbahnen, das Anlegen von asphaltenen Seen und Gummigehölzen und Mahagoni-Wäldern. Ich wollte nur, Gordon würde in diesen malerischen Ländern Fuß fassen; die romantischen Möglichkeiten der Zukunft würden mich dann mehr begeistern. Washington wirkt ungeheuer gewöhnlich im Vergleich mit Honduras und Nicaragua und den Karibischen Inseln.
    Ich werde Euch ein Lebewohl zuwinken.
    Addio!
    Sallie.

24. November.
    Lieber Gordon!
    Judy ist

Weitere Kostenlose Bücher