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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
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Sees ist das Lager von Harrimans das einzige, was schon offen ist. Das Klubhaus ist mit Tänzern sehr mager versorgt; aber wir haben als Hausgast einen bereitwilligen jungen Politiker, der gerne tanzt, deshalb macht mir der allgemeine Mangel nichts aus.
    Die Angelegenheiten der Nation und die Aufzucht von Waisenkindern sind gleicherweise in den Hintergrund verbannt worden, während wir zwischen den Polstern von Seerosen in diesem erquickenden See herumpaddeln. Ich denke nur mit Widerstreben an Montagfrüh um 7.56 Uhr, alswann ich den Bergen den Rücken kehren werde. Das Schlimme an Ferien ist, daß sie im Augenblick, wo sie anfangen, schon durch das nahende Ende überschattet sind.
    Ich höre auf der Veranda eine Stimme, die fragt, ob Sallie drin oder draußen zu finden ist.
    Addio!
    S.

3. August
    Liebe Judy!
    Zurück im John-Grier, mit den Lasten der kommenden Generation auf den Schultern. Was sahen meine Augen beim Betreten unseres Grundstücks? John Cobden vom Pfannkuchendreher mit einem Abzeichen auf dem Ärmel. Ich drehte es mir zu und las: „S.P.C.A.“ in goldenen Lettern! * ) Der Doktor hat in meiner Abwesenheit eine Zweigstelle der „Grausamkeit gegen Tiere“ gegründet und Johnnie zum Präsidenten ernannt.
    Ich höre, daß er gestern die Arbeiter an den Grundmauern des Farmerhauses anhielt und scharf tadelte, weil sie ihre Pferde bergauf gepeitscht hatten! Außer mir kommt das keinem komisch vor.
    Es gibt viel Neuigkeiten von hier, aber da Du in vier Tagen vermutlich da bist, lohnt es nicht, sie zu schreiben. Nur eine Kostbarkeit spare ich für den Schluß auf. Halte also den Atem an! Du wirst auf Seite 4 die Sensation erfahren. Du sollstest hören , wie Sadie Kate brüllt! Jane schneidet ihr das Haar. Statt es in zwei kleinen festen Zöpfen wie hier zu tragen, wird unser kleines Füllen in Zukunft so aussehen.

    „Die Schwänzchen sind mir auf die Nerven gegangen“, sagt Jane.
    Du siehst, wieviel modischer und kleidsamer die neue Frisur ist. Ich glaube, jemand wird den Wunsch haben, sie zu adoptieren. Nur ist Sadie Kate ein so unabhängiges, männliches Geschöpf; sie ist von der Natur aufs beste ausgestattet, für sich selbst zu sorgen. Ich muß die adoptierenden Eltern mehr für die Hilflosen aufsparen. Du solltest unsere neuen Kleider sehen! Ich kann es gar nicht erwarten, daß diese Versammlung von Rosenknospen vor Dir aufbricht. Und Du hättest sehen sollen, wie die blauen kattungewohnten Augen erstrahlten, als die neuen Kleider tatsächlich verteilt wurden, — drei für jedes Mädchen, jedes in einer anderen Farbe, und alle absoluter Privatbesitz. Der Name jedes einzelnen steht unauswaschbar in jedem Kragen. Mrs. Lippetts bequemes System, daß jedes Kind, wie es gerade kam, jede Woche ein Kleid aus der Wäsche zog, war eine Beleidigung der weiblichen Natur.
    Sadie Kate schreit wie ein Ferkel. Ich muß sehen, ob Jane ihr aus Versehen ein Ohr abgeschnippelt hat.
    Sie hat nicht. Sadies ausgezeichnete Ohren sind unversehrt. Sie schreit nur grundsätzlich, wie im Zahnarztstuhl, im Glauben, daß es im nächsten Augenblick Weh tun wird.
    Ich weiß wirklich nichts, was ich noch schreiben könnte, außer meiner Neuigkeit — hier ist sie also —, und ich hoffe, sie gefällt Dir.
    Ich bin verlobt und werde heiraten.
    Meine Liebe für Euch beide
    S. McB.

    Das John-Grier-Heim,
    15. November.
    Liebe Judy!
    Betsy und ich kommen gerade von einer Rundfahrt in unserem neuen Auto zurück. Zweifellos trägt es zu den Freuden des Anstaltsdaseins bei. Der Wagen ist von selbst in den oberen Gratweg eingebogen und vor den Toren von Shadywell stehengeblieben. Die Ketten waren vorgelegt, die Läden zu, und das Ganze sah verschlossen, düster und regennaß aus. Es hat so eine Atmosphäre wie der „Niedergang des Hauses Usher“ und besitzt nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit dem Haus, das mich nachmittags gastlich zu begrüßen pflegte.
    Ich finde es greulich, daß unser schöner Sommer zu Ende ist. Es kommt mir A'or, als wenn ein Teil meines Lebens sich hinter mir abgeschlossen hätte, und als dränge sich die unbekannte Zukunft furchtbar heran. Ich würde wirklich die Hochzeit gerne noch einmal um sechs Monate verschieben, aber ich fürchte, der arme Gordon würde sich zu sehr anstellen. Denke nicht, daß ich wacklig werde; das stimmt nicht. Ich brauche nur mehr Zeit, um daran zu denken, und der März kommt jeden Tag näher. Ich weiß genau, daß ich das Vernünftigste tue. Jedermann, ob Mann oder Frau, ist

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