Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
Vom Netzwerk:
DIE LUFT GESPRENGT WURDEN, WAS IN MEINEM PERSÖNLICHEN UMFELD ZU EINIGEN PROBLEMEN GEFÜHRT HAT, ABER DER HAUPTGRUND IST WOHL GELD, UND DESHALB WILL ICH BEI TESCO ARBEITEN,DAZU KOMMT, DER SUPERMARKT LIEGT NAHE AN MEINER WOHNUNG, UND VIEL LIEBER, ALS AUF DEN STRICH ZU GEHEN, FÜLLE ICH BEI IHNEN DIE REGALE AUF. Aber dann schmiss ich den Fragebogen weg, nahm mir einen neuen und schrieb: WEIL ICH TEAMFÄHIG BIN UND WEIL ICH TESCO FÜR EINE HERVORRAGENDE FIRMA HALTE, DIE TEAMARBEIT SCHÄTZT. Danach war das mit dem Job kein Problem mehr.
    Regale auffüllen ist ein tolle Sache, Osama. Sag nichts gegen Regale auffüllen, bis du es mal selbst probiert hast. Man braucht kein Genie dafür zu sein, aber die abgelaufenen Sachen rauszunehmen und die neuen reinzustellen, das hat was unheimlich Tröstliches. Besonders wenn am Schluss alle Regale in deinem Abschnitt wieder ordentlich aussehen und alle Etiketten genau nach vorn zeigen. Außerdem kriegst du von ihnen einen kompletten Satz Arbeitskleidung, sodass du dir keine Gedanken mehr zu machen brauchst, was du anziehen sollst, und daneben jede Menge Fortbildung. Ich meine, sie bieten sogar einen Kurs in Ärger-Management und gewaltfreier Kommunikation an, und wenn du dann die Probezeit überstehst, ohne die schwierigen Kunden zu enthaupten und das Video davon ins Internet zu stellen, kriegst du ein hübsches Namensschild, das du dir an deine rote Latzhose heften kannst mit deinem Namen drauf in Dymo-Lettern:
     
    TESCO
    OSAMA
    ICH HELFE IHNEN GERN
     
    Am selben Tag, als ich den Job ergatterte, habe ich auch angefangen, dir diesen Brief zu schreiben, Osama. Ich kriege 7 Pfund 20 die Stunde, das heißt, dass ich mir entweder was zu essen kaufen kann oder Alkohol, aber nicht beides. Deshalb denke ich, der Volksmund hat Recht, wenn er sagt, dass man im Leben immer die Wahl hat. Und da ich mir zu Hause nicht mal den Strom für die Glotze leisten kann, schreibe ich, sobald der Junge im Bett liegt. Fast jeden Abend habe ich dir bis weit nach Mitternacht geschrieben, und an ruhigen Tagen sogar auf der Arbeit. Zu meinen Aufgaben bei Tesco gehört auch, mit einem Klemmbrett die Regale abzugehen und aufzuschreiben, was fehlt. Genau das habe ich dann auch gemacht. Ich habe die Dosen mit Bohnen gezählt und sie aufgeschrieben, und dabei habe ich auch aufgeschrieben, was deinetwegen in meinem Leben fehlt, nur damit du’s weißt.
    Spätabends bin ich manchmal so müde oder traurig, dass ich nicht weiterschreiben kann. Dann setze ich mich aufs Sofa, eingepackt in jede Menge Decken, und sehe meinem dampfenden Atem nach. Es kann ziemlich traurig sein, einfach so vor einer toten Glotze zu sitzen, deshalb habe ich mit Haftis Zeichnungen meines Jungen auf die Mattscheibe geklebt und gucke mir eben die an. Manchmal erzähle ich mir auch was Lustiges, damit die Nachbarn von oben sich nicht allzu überlegen vorkommen. Du hältst das jetzt sicher für komisch, Osama, aber man kann dem Menschen eben nie seinen ganzen Stolz austreiben. Das ist wie bei einer Tube Zahnpasta, da bleibt auch immer ein kleiner Rest drin, du kannst sie quetschen, soviel du willst.
    Manchmal schlafe ich einfach auf dem Sofa ein. Und wenn ich aufwache, ist es 5 Uhr morgens und noch dunkel. Dann gehe ich erst ins Kinderzimmer und decke meinen Jungen wärmer zu. Danach nehme ich meinen Kuli und schreibe den Brief an dich weiter, bis es Zeit ist, mich für die Arbeit anzuziehen. Ab und zu frage ich mich natürlich, ob das alles Sinn hat, Osama. Hat irgendwas in diesem Brief deine Meinung geändert, oder würdest du morgen dasselbe nochmal tun?
    Kurz bevor ich mich auf den Weg mache, gehe ich noch mal ans Fenster. Ich schaue raus und sehe meinen Jungen, wie er mitten auf der Straße auf der weißen Linie balanciert – mit seitlich ausgestreckten Armen wie ein Zirkusartist auf dem Hochseil. Er konzentriert sich. Seine Zunge schaut dabei ein Stück aus dem Mundwinkel wie immer, wenn er was ganz richtig machen will. Manchmal kommt schwarzer Rauch aus ihm heraus, manchmal nur ein kleines weißes Wölkchen.
    Abends nach der Arbeit gucke ich als Erstes nach der Post. Mittlerweile kriege ich nur noch 2 Sorten Briefe. In der einen steht, dass sie den Fernseher wieder abholen. Die andere teilt mir mit, dass sie mir die Wohnung wegnehmen werden. Seit Anfang Dezember kommen regelmäßig diese roten Umschläge. Ich sag dir ehrlich, Osama, ich weiß gar nicht, was ich tun soll.
    An den Sonntagen läuft es ein bisschen anders als normal. Erst

Weitere Kostenlose Bücher