Lieber Osama
mal gehe ich zum Zeitungsladen und kaufe mir den Sunday Telegraph. Dann zurück in die Wohnung, wo ich ihn sorgfältig auf dem Küchentisch ausbreite, aber lesen tue ich ihn noch nicht. Erst muss ich duschen, und dann gehe ich an den Kleiderschrank und hole die Sachen raus, die Petra mir gekauft hat. Die ziehe ich dann an, aber ganz vorsichtig, damit sie nicht ausleiern. Erst die weiße Unterwäsche, dann die weiße Seidenhose und das Tunic-style-Top von Hermes. Ganz am Schluss diese wunderhübschen Pumps von Fendi. Dann gehe ich ins Bad und setze Petras Gesicht auf, auch das ganz langsam und sorgfältig. Auf dieses Make-up habe ich ewig gespart.
Mein Junge sitzt dabei auf dem Rand der Wanne, trommelt bong-bong-bong mit den Fersen dagegen und guckt zu, wie ich mich schminke. Wenn ich fertig bin, schaue ich noch mal in den Spiegel über dem Waschbecken.
- Du siehst schön aus, Mami, sagt mein Junge dann.
- Ich bin nicht die Mami, Schatz. Ich bin Petra Sutherland.
Darauf fängt mein Sohn an zu kichern, und gemeinsam gehen wir in die Küche, setzen uns an den Tisch und schlagen die Modeseite des Sunday Telegraph auf. Petras Kolumne ist immer ganz vorn, und neben ihrem Namen ist ein kleines Foto von ihr. Das berührt mein Junge immer mit seinen kleinen Patschefingern.
- Diese Frau sieht aus wie du, Petra, sagt er. Ich lächle ihn an.
- Ja. Ist das nicht wundervoll?
Dann lese ich laut Petras Artikel vor. Wie das geht, weiß ich ja, und noch immer kann ich ihre Stimme perfekt nachahmen. Und genau wie sie werfe ich beim Sprechen meine Haare zurück. Jeden Sonntagmorgen bin ich eine halbe Stunde lang Petra Sutherland. Dann vergesse ich die Kälte und den Schmutz und meine armen toten Jungs. Mit meinem schönen Akzent erzähle ich der leeren Küche, wie ich meinen mit reger Anteilnahme bedachten Verlust verarbeite, nämlich indem ich jedes Gran positiver Energie, über das ich noch verfüge, auf meine Schwangerschaft richte. Und nicht zuletzt, wie sehr mir die vielen Leserzuschriften geholfen haben, Briefe aus der ganz normalen Bevölkerung. Und dass ich mich persönlich gewiss nicht für ausgesprochen tapfer halte, sondern nur das tue, was jede andere Mutter in meiner Situation auch tun würde. Nämlich nach vorn schauen.
Auch die Gespräche mit meinem Landschaftsgärtner über die Gestaltung des neuen Hauses in Hampshire sind eine hervorragende Ablenkung und verbinden mich mit dem ewigen Kreislauf der Natur. Und, nein, ich wüsste nicht, warum eine Frau in einem Sack herumlaufen muss, nur weil sie schwanger ist. Nicht umsonst gibt es von Chloe und Prada ein paar ganz hübsche Sächelchen, die dem gängigen Klischee nun ganz und gar nicht entsprechen und in denen frau sich, Schwangerschaft hin oder her, sexy und elegant fühlen darf. Im Frühjahr kommt dann mein Baby zur Welt, in einem ganzheitlichen Entbindungszentrum, danach möchte ich sofort wieder arbeiten. Meine wöchentliche Kolumne soll nicht darunter leiden. Habe ich schon erwähnt, dass ich zur Kolumnistin des Jahres gewählt wurde? Ganz besonders freue ich mich, meinen Leserinnen sagen zu können, dass ich vom nächsten Monat an meine eigene TV-Show bei der BBC haben werde. Insofern kann man durchaus davon sprechen, dass die Schwangerschaft meinen Horizont erweitert hat. Ich spüre, dass ich der Welt mehr mitzuteilen habe als nur Lifestyle-Ideen. Nein, ich möchte über das Leben als solches reden. Das Leben im weitesten Sinn. Und ich bin in der glücklichen Position, genau das auch umzusetzen. Das Schöne an der Mutterschaft heute ist, dass die eigenen, hart erworbenen Erfahrungen nicht am häuslichen Herd verkümmern müssen. Nein, man kann in die Welt hinausgehen und es ruhig mal krachen lassen. Allerdings, muss ich sagen, habe ich auch viel Glück gehabt, denn ich habe ein hervorragendes Kindermädchen aufgetan, ein echter Goldschatz.
An jedem Sonntagmorgen, Osama, bin ich so froh, Petra Sutherland zu sein.
H EUTE IST H EILIGABEND , Osama, und ein Remix mit Glocken von ENGLAND’S HEART IS BLEEDING ist seit Wochen in den Charts. Und den Schutzschild der Hoffnung haben sie mit Lichterketten voll gehängt. Jeder Ballon hat sein eigenes Thema, Sterne, Kerzen, Schneemänner und so. Besonders bei Nacht sieht das unglaublich aus, wenn tausend Glühlampen hängen, wo mal der Himmel war. Was man nicht mehr sieht, sind die Gesichter darauf. Mein Mann wurde durch Santa Claus ersetzt, und mein Junge durch Rudi, das Rentier.
Es ist Weihnachten, Osama, und
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