Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
Vom Netzwerk:
ob sie es wollten oder nicht, geradezu als Aas anbieten, er würde nicht
     an der moralischen Standfestigkeit seiner Schwester zweifeln … ich humpelte neben dem Gendarmen her und wunderte mich, was
     ihn die Anstandsregeln vergessen ließ, da sprach er mir, einem fremden Mann, von seiner Schwester, die er aufgegeben zu haben
     schien. Es muß schlimm um mich stehen, dachte ich, wahrscheinlich glaubt er an meinen schnellen Tod, wahrscheinlich findet
     er nichts dabei, daß ich dieses kleine Geheimnis mit ins Grab nehme. Ich stolperte über ein Wrackteil, von dem sich Rauch
     kräuselte, der Gendarm hievte mich hoch und ließ mich auf das Trittbrett eines Krankenwagens setzen, eine Ärztin kletterte
     heraus, bat mich, beide Arme zur Seite auszustrecken, dann schnitten sie mir mit einer großen Schere das zerfetzte Hemd vom
     Leib. Während sie sich um meine Wunden kümmerte, starrte ich auf die Spange in meiner Hand, ein Schildpattplättchen war abgefallen,
     an der Klebstoffkruste hatten sich Erdkrümel verfangen. Ich rieb die Hornspange sauber, starrte auf meine Hände, die einem
     anderen Willen gehorchten, und als ich den Blick über die Unfallstelle schweifen ließ, sah ich Menschen im Morgendunst, Männer
     und Frauen mit wenig oder schwindender Hoffnung, sie lagen auf dem kalten Boden, und das Blut sickerte oder quoll aus ihnen
     heraus, sie standen reglos neben den Ärzten und Gendarmen, und sie waren unempfänglich für jede Frage und jeden Trost.
    Ein Offizier bellte einen Befehl, und wenig später waren fünf Körper mit Jacken und Plastikplanen zugedeckt. Eine Schande,
     schrie ein alter Mann, der ein Stück Stoff auf seine Platzwunde an der Schläfe drückte, wo ist der gottverfluchte Fahrer,
     ich bring’ ihn um, ich zünde seine Haare an … Einige Überlebende gesellten |11| sich zu ihm und schrien sich heiser, gebt uns den Schweinehund, riefen sie, wir sind in der richtigen Stimmung, um den Blutsäufer
     abzustechen. Dann zeigte der junge Mann, den ich gerettet hatte, der mich gerettet hatte, auf eine Gestalt im Dunkeln, und
     die Männer setzten sich in Bewegung, doch ehe sie dazu kamen, den Fahrer einzukreisen, stellten sich ihnen die Gendarmen in
     den Weg. Die Wut der Überlebenden war unermeßlich, sie überrannten die Menschensperre, sie brüllten obszöne Parolen, sie warfen
     sich auf den Fahrer, dem es nicht gelang, in die Dunkelheit zu flüchten. Auf einen erneuten Befehl hin gaben die Gendarmen
     Warnschüsse ab, und mir war, als hätte man mir Stacheln ins Ohr getrieben, ich zog den Kopf ein und fiel einfach vom Trittbrett
     herunter, ich verstand nicht, wieso zwei Männer aus dem Buswrack herausrannten. Es waren Plünderer, sie hatten geglaubt, daß
     die Schüsse ihnen gegolten hatten, ihre Flucht wurde vereitelt, ein Mann bekam einen harten Gewehrkolbenhieb in die Hüfte,
     den anderen nahm sich der Offizier höchstpersönlich vor, er schlug ihm mit der Kante seines Spiralblocks ins Gesicht, legte
     ihm Handschellen an und ließ ihn abführen. Die beiden Kerle sind Blutsäufer, rief er den wütenden Überlebenden zu, denen der
     Schreck in die Glieder gefahren war und die, weil man ihnen den Busfahrer aus den Fängen gerissen hatte, anfingen, über die
     falsche Ordnung in diesem Staat zu schimpfen. Die Ärztin half mir auf und legte eine Wolldecke um meine Schultern. Sie haben
     den schweren Unfall überlebt, sagte sie, es wäre wirklich schade, wenn Sie sich eine Bronchitis zuziehen würden.
    Was ist hier überhaupt passiert?
    Sie schien eine Weile über meine Frage nachzudenken, sie sah mir in die Augen und machte einen halbherzigen Versuch, sich
     ahnungslos zu stellen, doch dann |12| zog sie die Luft ein und erzählte, daß der Fahrer am Steuer eingeschlafen und einem Überlandlaster hinten aufgefahren wäre,
     das müßte man sich einmal vorstellen, der Kerl hätte auf diesem Abschnitt der Autobahn nur hundert fahren dürfen, er wäre
     aber mindestens hundertdreißig gefahren, um dann, nach der Kollision, das Steuer erst nach links und dann nach rechts herumzureißen,
     der Bus wäre gegen die Mittel- und die Seitenleitplanken gekracht, dem Fahrer ginge es übrigens recht gut.
    Er ist im entscheidenden Moment abgesprungen, sagte sie, der herrenlose Bus ist umgekippt, und die Menschen da drin waren
     der Hölle überantwortet.
    Mein Koffer, sagte ich.
    Seien Sie froh, daß Ihr Koffer verbrannt ist und nicht Sie, sagte sie, es gibt jetzt schon böse Gerüchte über viele

Weitere Kostenlose Bücher