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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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ich, einzig und allein aus dem Grund, weil er sie offenbar auseinanderbringen wollte, für Schwestern hielt. Er vermittelte den Eindruck, ob zutreffend oder nicht, als wäre er bereit, jede Grenze zu überschreiten, wenn er damit nur düsteres Unheil stiften konnte. Dieser Eindruck war es auch, der mich zu der Überlegung brachte, ob die Mädchen überhaupt schon so alt waren, dass man dermaßen freizügig mit ihnen sprechen durfte. Wie alt sie tatsächlich waren, wusste ich nicht – wenn man selbst keine Kinder hat, und mir liegt nicht an Fortpflanzung, verliert man die Fähigkeit, Zwölfjährige von Siebenundzwanzigjährigen zu unterscheiden –, aber sie trugen den unverhohlen ordinären Ausdruck von Mädchen zur Schau, die genau wissen, dass sie einen ins Gefängnis bringen können.
    Obwohl Marius ihnen einerseits das Gefühl gab, er widme ihnen seine ganze Aufmerksamkeit, sie allein kämen in den Genuss seines funkelnden Geistes, gelang es ihm zugleich, sie der versammelten Gemeinde gegenüber als Last erscheinen zu lassen, so als wäre er durch ihre Langweiligkeit dazu verdonnert, seine Zeit mit diesen jungen Dingern, mit schwarzem Lippenstift und Nasenringen zu vergeuden. Kann sein, dass ich sein Verhalten missdeutete. Vielleicht hatte ihn die Beerdigung zutiefst erschüttert, vielleicht war er verzehrt von Trauer, und nur indiskreter Umgang mit dem Jungen und Provokativen konnte sie lindern.
    Was sahen die beiden in ihm, fragte ich mich, das die übliche Gleichgültigkeit, die junge Mädchen gegenüber erdrückend geistreichen, doppelt so alten Männern sonst empfinden, außer Kraft setzte? Sie lachten mit einer Ergebenheit, die auf einem Debütantinnenball als schamlos gegolten hätte, von einem Leichenschmaus ganz zu schweigen. In der glühenden Gewissheit, seine großäugige Zuwendung sei von einer Unverfrorenheit, die eine entsprechend kühne Reaktion verlangte, streckten sie ihm ihre bloßen, erröteten, gefährlich buhlenden Koboldgesichter entgegen.
    Urplötzlich, als befürchtete er eine Szene, beendete er das Spiel und rief sich in Erinnerung, was er dem lieben Verstorbenen und seiner Witwe schuldete, mochte die Konversation der übrigen Gesellschaft auch noch so langweilig sein. Kurz bevor er sich von den beiden Mädchen trennte, ertappte ich ihn allerdings noch dabei, wie er mit den Lippen ein paar Worte formte – halb verdeckt, halb offen. Ich jedenfalls hatte keine Schwierigkeit, das Gesagte zu verstehen, wobei ich mir zugegebenermaßen kaum eine Gelegenheit entgehen lasse, Unschicklichkeiten hineinzulesen, wo gar keine beabsichtigt waren. In diesem Fall war es jedoch eindeutig.
    Â»Vier Uhr«, sagte er, ohne einen Ton von sich zu geben.
    Was war das? Eine Verabredung nach der Schule?
    Vier Uhr.
    Die Zitterstunde.
    Falls es wirklich ein heimliches Rendezvous war, würde er es nicht einhalten – so meine Vermutung. Die Minderjährige schon, wahrscheinlich sogar beide. Sie würden sich gegenseitig anstacheln, während sie an der Ecke standen, an die Marius sie bestellt hatte; alle zwei Minuten würden sie ihre Rüschenärmel hochschieben, um auf ihre Micky-Maus-Uhren zu schauen, und in ihre Taschentücher kichern, während unter ihren Blazern ihre breiweichen Herzen pochten. Aber Marius würde nicht kommen. Was er von den Mädchen wollte, hatte er sich bereits genommen.
    Schwer zu sagen, nach so einer flüchtigen Begegnung, bei der ich ihn die meiste Zeit nur von hinten sah, woran man einen Libertin erkennt, der ein Feuer entfacht, ohne das Auflodern abzuwarten, der letztlich lieber einen sexuellen Gefallen verwehrt als gewährt. Vielleicht zeichnet sich diese besondere Form des Sadismus in der Krümmung der Wirbelsäule ab. Vielleicht sehe ich auch nur das, was ich sehen will. Wie auch immer, ich spürte im Voraus den »Stachel seiner Missachtung« – ich bediene mich einer Redewendung von Leopold Bloom, Bloomuponwhom, dem Schutzpatron der Unterworfenen und Betrogenen – so deutlich, wie ihn die Mädchen um vier Uhr an jenem Tag, an jenem Ort zu spüren bekommen haben werden, an dem Marius sie versetzte.
    Sexuelle Erniedrigung – mein Terrain. Damit kenne ich mich aus. Ich bin Connaisseur. Über den Unterschied zwischen einem Stachel und einem Stich könnte ich eine ganze Abhandlung schreiben, tausend Seiten lang und in Dutzend Sprachen,

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