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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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und verzweifelt wie die einer Ertrinkenden, nur schwamm jetzt jemand anders in diesem Meer, und ich war derjenige, der ertrank. Ich konnte nicht mehr essen. Meine schulischen Leistungen ließen nach. Ich hatte Kopfschmerzen. Ich hegte Mordgedanken, die sich nicht gegen Faith oder Martin richteten, sondern gegen mich selbst. Hätte ich mehr von dem gehabt, was Mädchen von Jungen erwarten, wäre mir das nicht passiert. Jetzt war es zu spät, sich dieses geheimnisvolle Etwas anzueignen, denn es gab keine Zukunft, in der ich es praktisch hätte anwenden können.
    Ich suhlte mich in meinem Schmerz. Ich erforschte ihn, schliff ihn immer feiner, bis zwischen meinem Herz und mir kein Fetzen Haut mehr übrig war. War es Faith, die mir fehlte, oder war ich es selbst, die Person, die ich war, als sie ihre wunderbaren Arme zweifach um mich schlang? Woher genau rührte der Schmerz – waren es die Küsse, die mir geraubt worden waren, noch ehe sie recht angefangen hatten, oder war es die Kränkung, dass sie Martin mir vorgezogen hatte? Was gefiel ihr an ihm? Was gefiel ihr nicht an mir? Was war es, was war es, was war es …?
    Danach – in dem Danach, das ich nie für möglich gehalten hätte – wurde ich vorsichtig und achtete sorgsam darauf, niemals jemanden so zu verletzen, wie ich verletzt worden war, niemals ein Kino mit einer anderen zu verlassen als der, mit der ich es betreten hatte, und beim Küssen niemals durchblicken zu lassen, dass ich lieber eine andere geküsst hätte. Wie man Eifersucht überlebt, wurde zur Frage meines Lebens. Wie kann man akzeptieren, dass derjenige, den man liebt, die Liebe nicht erwidert? Wie kann man es aushalten, dass ein anderer die Küsse der Geliebten bekommt? Wie kann man damit fertig werden, wenn man verlassen wird? Wie findet man sich damit ab, dass man ungeliebt ist und ungeliebt bleiben wird, ausgestoßen, nicht, weil man selber nichts taugt, sondern weil man dem Glück zweier anderer im Wege steht; dass man bis in alle Ewigkeit einsam bleiben muss, damit die beiden anderen bis in alle Ewigkeit zusammenbleiben können?
    Â»Du kennst ja mein Motto«, sagte mein Vater, eingehüllt in eine Wolke aus Zigarrenqualm. »Wenn du einen Bus verpasst, dann warte auf den nächsten.«
    Er war von meinem Flennen angewidert, und ich fand ihn ganz und gar abscheulich.
    Â»Was nützt mir der nächste Bus, wenn mich der erste überfahren hat?«, entgegnete ich.
    Er zuckte die Achseln. »Die paar Knochenbrüche«, sagte er. »Was soll’s.«
    Â»Knochenbrüche!«
    Meine Mutter war mitfühlender, wenn auch keine größere Hilfe. Ich suchte sie nie in ihrem Zimmer auf, Ort ihres persönlichen stillen Kummers, solange ich denken konnte, denn auch sie war eine Verlassene. Aber eines Morgens kam sie zu mir, als ich untröstlich und bewegungslos auf meinem Bett lag, an die Decke schaute, meine Traurigkeit pflegte, die sich mit jedem Tag häuslicher in meinem Körper einrichtete, ein Fluss aus geschmolzenem, saurem, glutheißem Honig, der mit träger, trügerischer Süße durch meine Adern strömte.
    Â»Ist das immer so?«, fragte ich sie.
    Â»Dass man betrogen wird?«
    Â»Die Liebe.«
    Sie überlegte einen Moment, schlang ihren Morgenrock aus Brokatstoff enger um sich. Meine Mutter war mir immer wie eine Frau aus einer anderen Zeit erschienen, in ein früheres Jahrhundert verbannt. »Wie gern würde ich dir sagen, dass es nicht so ist«, antwortete sie. »Aber du wirst eine andere finden, und dann wirst du vergessen, was diesmal passiert ist.«
    Â»Und wenn es wieder passiert?«
    Sie berührte meine Hand, eine ungewöhnlich warmherzige Geste für unsere Familie, in der Berührung für Unschicklichkeiten oder Zurückweisungen reserviert war. »Vielleicht hast du Glück«, sagte sie. »Vielleicht passiert es nicht wieder.«
    Â»Was kann ich dafür tun, dass es nicht wieder passiert?«
    Â»Lerne die Nächste etwas weniger zu lieben. Oder jedenfalls etwas weniger in sie zu investieren.«
    Â»Aber wäre das dann noch Liebe?«
    Â»Tja«, sagte sie und stand auf. »Das ist die große Frage.«
    Ich mochte erst fünfzehn sein, aber die Antwort auf die große Frage kannte ich bereits. Wenn man lieben wollte – und nichts anderes wollte ich –, dann musste man willens sein, die Symptome und die Begleiterscheinungen

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