Liliane Susewind - So springt man nicht mit Pferden um
normalerweise angestrengt und verbissen wirkte, schien weicher – als sei ihr ein schlimm entzündeter Zahn gezogen worden. Trixi ging wortlos an Lilli vorüber und ignorierte sie.
Es klingelte. Fünf vor acht! Lilli wollte gerade das Schulgebäude betreten, da rief jemand: »Kuckuck!« Lilli drehte sich um. Da stand Bonsai!
»Was machst du denn hier?«, stieß sie verdutzt hervor.
Bonsai wedelte mit dem Schwanz. »Ich bin mitgekommen … damit ich auch hier bin«, antwortete er.
Lilli kniete sich neben ihn. »Aber du kannst nicht mit in die Schule kommen!«
»Doch! War ganz leicht! Immer dem Lilliduft nach …«
»Hunde gehen nicht in die Schule.« Lilli schüttelte den Kopf. »Bitte lauf wieder nach Hause, Bonsai.«
»Muss ich?« Der weiße Mischling ließ den Kopf hängen. »Wirklich?« Als Lilli ihn streng ansah, schnuffte er: »Okay« und setzte sich unwillig in Bewegung.
Lilli blickte ihm kopfschüttelnd nach, dann eilte sie ins Schulgebäude. In ihrem Klassenraum herrschte chaotisches Durcheinander. Alle Schüler schienen gleichzeitig zu reden und sich gegenseitig zu erzählen, wie sie die Ferien verbracht hatten. Lilli wurde mit vielen »Hallos« gegrüßt, denn mittlerweile war sie keine Außenseiterin mehr, sondern hatte einige Freunde gefunden.
Da betrat der Lehrer, Herr Gümnich, das Klassenzimmer. Schlagartig wurde es still im Raum. Das lag aber nicht am Lehrer, sondern an dem braunhaarigen Mädchen, das mit Herrn Gümnich hereinkam. Eine neue Schülerin! Lilli beugte sich gespannt vor und betrachtete das Mädchen. Sie hatte ein kleines, unscheinbares Gesicht und trug eine Brille. Ihr braunes Haar war schulterlang und beneidenswert glatt. Ihre Jacke sah alt und abgewetzt aus, genau wie ihre blauen Halbschuhe.
»Hallo Kinder«, sagte Herr Gümnich. »Ihr habt eine neue Mitschülerin. Ihre Familie ist erst vor kurzem hergezogen, sie kennt also noch niemanden hier. Sie heißt Wolke Jansen.«
Einige der Schüler lachten, andere wiederholten den Namen »Wolke«, als könnten sie nicht glauben, dass das Mädchen tatsächlich so hieß. Lilli hätte sie am liebsten ausgeschimpft. Sie konnte sich vorstellen, wie Wolke sich fühlte, denn an Lillis erstem Schultag hatten die anderen Schüler über den Namen »Susewind« gelacht, und Lilli wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken.
Wolke starrte nun mit hochrotem Kopf auf ihre Schuhspitzen. Da schnellte Lillis Hand in die Höhe.
Herr Gümnich schaute sie überrascht an. »Ja?«
»Wolke kann neben mir sitzen … wenn sie möchte.« Der Platz neben Lilli war frei, da Sonay, die normalerweise neben ihr saß, heute krank zu sein schien.
Wolke blickte auf und sah Lilli mit großen Augen an.
Der Lehrer lächelte und schien erleichtert zu sein. »Möchtest du neben Lilli sitzen?«, fragte er das Mädchen. Wolke nickte schüchtern. »Dann setz dich doch.«
Wolke ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie stapfte durch den Klassenraum, schlüpfte neben Lilli auf den Stuhl und versank hinter dem Tisch. Da zischte jemand abschätzig: »Sag mal, aus welchem Jahrhundert sind denn deine Schuhe?« Es war Gloria, ein Mädchen, mit dem Lilli sich nicht sonderlich gut verstand. Gloria war früher ein Mitglied in Trixis Clique gewesen und hatte Lilli damals ebenso übel zugesetzt wie ihre beste Freundin Viktoria, die gerade über Glorias fiese Bemerkung lachte.
Lilli warf Gloria einen bösen Blick zu, aber diese schien das nicht zu bemerken. Dann begann die Schulstunde, und sie mussten sich auf den Unterricht konzentrieren. Als es zwei Stunden später zur Hofpause läutete, huschte Wolke aus dem Klassenraum und zog sich in die abgelegenste Ecke des Schulhofs zurück. Lilli wollte gerade zu Wolke hinübergehen, da hörte sie eine vertraute Stimme. »Hey Lilli!« Es war Jesahja, der auf sie zusteuerte. Im Schlepptau hatte er über ein Dutzend Jungs und Mädchen, die ihm in dichtem Abstand folgten. So war es immer in den Hofpausen. Jesahja war so beliebt, dass er ständig von einem ganzen Pulk von Fans umlagert wurde. Lilli fand es oft schade, dass sie Jesahja in der Schule selten allein sprechen konnte, aber heute störten seine Anhänger sie noch mehr als sonst.
»Ich möchte dir jemanden vorstellen«, sagte sie und zog Jesahja fort. Er war viel besser darin als sie, Gespräche zu führen, und er wusste bestimmt, wie man Wolke am besten kennenlernen konnte. Jesahjas Fans liefen ihm nach wie eine Herde Schafe. Zwei Jungs aus der Gruppe, Torben und Fabio, warfen
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