Lilien im Sommerwind
sieht doch jeder. O Gott, mein Auge. Du musst mir helfen.«
Er versuchte wieder aufzustehen, aber seine Beine wollten ihm nicht gehorchen. »Um Gottes willen, Cade, ruf einen Krankenwagen. Ich verliere noch mein Auge.«
»Du wusstest, dass sie hierher kamen.« Cade hielt Torys Arme fest und musterte das zerkratzte Gesicht seines Freundes. »Du wusstest, dass sie sich regelmäßig nachts hier trafen. Ich habe es dir selbst erzählt und wir haben darüber gelacht.«
»Was hat das denn damit zu tun?« Dwight drehte sich um, als er Zweige knacken hörte. Keuchend kam Carl D. angerannt. »Gott sei Dank. Chief, rufen Sie einen Krankenwagen. Tory hatte einen Nervenzusammenbruch. Sehen Sie sich an, wie sie mich zugerichtet hat.«
»Du meine Güte«, murmelte Carl D. und eilte zu Dwight.
»Er wollte, dass ich weglaufe. Aber ich bin stehen geblieben.« Tory hatte aufgehört, sich zu wehren und legte ihre Hand über Cades. Carl D. hockte sich hin, um Dwights verletztes Auge mit seinem Taschentuch zu verbinden. »Er hat Hope und die anderen umgebracht. Er hat auch meine Mutter erschossen.«
»Ich sage euch doch, sie ist verrückt«, schrie Dwight. Er konnte nichts mehr sehen. Verdammt noch mal, er konnte nichts mehr sehen. Seine Zähne begannen zu klappern. »Sie will nicht begreifen, was ihr Vater getan hat.«
»Wir bringen Sie ins Krankenhaus, Dwight, und dann klären wir das.« Carl D. sah Tory an. »Sind Sie verletzt?«
»Nein. Sie wollen mir nicht glauben. Sie wollen mir nicht glauben, dass er all die Jahre unter ihnen gelebt hat. Aber so war es.«
Sie blickte Cade an. »Es tut mir Leid.«
»Ich will dir auch nicht glauben. Aber ich tue es trotzdem.«
»Ich weiß.« Sie richtete sich auf. »Die Waffe, mit der er meine Mutter erschossen hat, liegt auf dem Speicher in seinem Haus, auf den Balken an der Südseite.« Vorsichtig rieb sie sich den Hals, wo seine Finger dunkle Druckstellen hinterlassen hatten. »Du hast einen Fehler gemacht, Dwight. Du hättest mich nicht so nahe kommen lassen dürfen. Du solltest vorsichtiger mit deinen Gedanken umgehen.«
»Sie lügt. Sie hat sie selber dorthin gelegt. Sie ist verrückt.« Er taumelte, als Carl D. ihn hochzog. »Cade, wir sind unser ganzes Leben lang Freunde gewesen. Du musst mir glauben.«
»Eins kannst du mir glauben«, erwiderte Cade. »Wenn ich früher hier gewesen wäre, dann wärst du jetzt tot. Das kannst du glauben. Denk immer daran.«
»Sie kommen jetzt besser mit mir, Dwight.« Carl D. legte ihm Handschellen an.
»Was tun Sie da? Was, zum Teufel, tun Sie da? Gilt denn das Wort einer Verrückten mehr als meins?«
»Wenn die Waffe nicht an der Stelle liegt oder die Schüsse auf den jungen Polizisten und die hilflose Frau nicht aus ihr abgegeben wurden, dann werde ich mich ausgiebig bei Ihnen entschuldigen. Kommen Sie jetzt. Miss Tory, Sie fahren besser auch ins Krankenhaus.«
»Nein.« Sie wischte sich mit dem Handrücken das Blut vom Mund. »Ich muss erst noch das tun, weswegen ich hierher gekommen bin.«
»Dann tun Sie es«, sagte Carl D. »Ich kümmere mich schon um ihn. Ich komme später noch bei Ihnen vorbei, Miss Tory.«
»Sie ist verrückt«, schrie Dwight immer wieder, während Carl D. ihn wegzog.
»Er ist beleidigt.« Tory lachte zittrig auf und drückte sich die Finger auf die Augen. »Beleidigt, weil er wie ein Verbrecher behandelt wird. Das Gefühl ist sogar noch stärker als der Hass und der Hunger.«
»Denk nicht an ihn«, sagte Cade. »Sieh ihn dir nicht an.«
»Du hast Recht, Cade. Du hast Recht.«
»Das war schon das zweite Mal, dass ich dich beinahe verloren hätte. Ich will verdammt sein, wenn es noch einmal passiert.«
»Du hast mir geglaubt«, murmelte Tory. »Ich konnte spüren, dass es dir wehtat, aber du hast mir geglaubt. Ich kann dir gar nicht sagen, was mir das bedeutet.« Sie schlang die Arme um ihn. »Du hast ihn geliebt. Es tut mir so Leid.«
»Ich kannte ihn ja nicht einmal.« Und doch empfand Cade Trauer. »Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte ...«
»Das können wir nicht. Ich habe lange gebraucht, um das zu lernen.«
»Dein Gesicht ist voller Schrammen.« Er küsste sie.
»Seins sieht schlimmer aus.« Tory lehnte den Kopf an seine Schulter. »Ich bin gelaufen, wollte wegrennen, aber plötzlich war da dieses Gefühl in mir. Der wütende Wunsch zu leben. Er sollte nicht gewinnen, er sollte mich nicht wie ein Kaninchen jagen können. Er sollte endlich selber erfahren, wie es ist.«
Ich werde dieses Bild nie
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