Lippenstift statt Treppenlift
fährt sie bei der Gelegenheit, wie es ihre Art ist, Lebensmittel für eine ganze Kompanie auf – aber solange man den Hund vom Tisch fernhält, macht das ja nichts!
Nur mit den Ostereiern gab es letztes Mal ein Problem: Sie waren zwar wunderschön rot, blau, gelb und grün, doch als die Kinder den üblichen Wettbewerb im Osterei-Ditschen (Gegeneinanderschlagen) veranstalteten, stellte sich heraus: Die Eier waren zwar gefärbt, aber nicht gekocht, sodass den Kindern Eigelb und Eiweiß die Hand entlanglief. Aber als die Kinder laut herauslachten, lachte Ömi einfach mit, deshalb war das gar nicht so schlimm.
Die Kinder sind überhaupt das Wichtigste für unsere Omas. Wenn meine Mutter meine Kinder trifft, dann verwandelt sich ihr Gesichtsausdruck, und sie wird ein anderer Mensch. All das Meckern und Blaffen und Keifen verstummt, und statt Kugelblitzen senden ihre Augen pure, reine Liebe. Die ganze Frau leuchtet wie ein Kerzenständer, sobald nur ein Kind das Zimmer betritt.
Kürzlich, in den Ferien, hatte ich keine Betreuungsperson für Linus, da lud ich ihn bei meiner Mutter ab – ein wenig mit schlechtem Gewissen, weil ich Mama nicht belasten wollte. Eigentlich kann Linus mit seinen mittlerweile zehn Jahren auch mal gut allein bleiben, aber andererseits ist das auch ein wenig trostlos für ein Kind, und Ida, meine Große, war alleine verreist. Der Besuch war aber ein voller Erfolg, Linus kochte bei Oma Nudeln mit Soße, er führte sie spazieren, alles war perfekt, und seither darf ich jeden Tag von Oma hören, wie großartig er ist.
Es war tatsächlich das erste Mal, dass Linus so lange allein bei der Oma war, denn als er auf die Welt kam, war sie schon nicht mehr fit: Die beiden sind sich nicht so nah wie Oma und Ida. Doch als Ida klein war, war die Oma ständig präsent und kümmerte sich um sie (das war vor den Rückenproblemen und der Verschrobenheit). Das machte sie damals so liebevoll und so toll, dass ich es ihr nie vergessen werde!
Nun wird es Zeit, Tacheles zu reden: Natürlich geht es mit Mama nicht gerade bergauf, trotz Psychopharmaka. Sie vergisst, daran gibt es nichts zu rütteln. Es ist der Lauf der Krankheit, und natürlich wird es schlimmer, Tag für Tag. Sie hat sich ein wenig ans Vergessen gewöhnt, es ist schon ein bisschen Alltag und Routine. Und manchmal ist auch alles, was sie so von sich gibt, nur Hysterie, Show, gnadenlose Übertreibung – das ist einfach ihre Art. Doch wenn man das alles wegstreicht, bleibt ein Abbau, der nicht wegzudiskutieren ist. Oft macht sie das ängstlich wie ein Kind, wirr und voller Panik, und dann würde ich am liebsten sofort nach dem Neurologen rufen und noch stärkere Psychopharmaka fordern. Denn wenn sie sich schon vergisst, dann soll sie wenigstens glücklich und froh dabei sein. Aber ich weiß natürlich nicht, ob das gut wäre, ob man das überhaupt darf und ob es wirklich hilft.
Und nach wie vor kann ich manchmal mit ihren Eigenheiten nur schwer umgehen, dann werde ich ungeduldig. Deswegen martert mich ständig mein Gewissen: So oft bin ich bei ihr und kümmere mich um sie, und genauso oft mache ich es einfach falsch.
Ich wünschte, ich hätte mehr Geduld. Ich wünsche mir, dass wir noch oft zusammen in der Sonne sitzen, und die Kinder sind dabei. Dass wir essen, lachen, Musik hören. Ich wünsche mir, dass Mama mit uns schwimmen geht – ich weiß, dass sie sich wünscht zu schwimmen, sich aber nicht mehr traut. Ich wünsche mir, dass sie noch oft zu uns zum Essen kommt und danach bei uns auf dem Sofa sitzt und sich freut, da zu sein, so wie sie das immer tut. Und dass sie dann wieder lange mit den Kindern in ihren Zimmern verschwindet und mit ihnen »Mensch ärgere Dich nicht« spielt. Ich wünsche mir, dass sie mir Rindsrouladen kocht (und endlich ihre Angst vor Rinderwahn verliert). Ich wünsche mir, dass sie Spaß hat und die Dinge genießt. Und ich wünsche mir mit Mama für all das noch sehr viel Zeit.
Über die Autorin
Johanna Urban schrieb einige Jahre hauptberuflich Reportagen über ferne Länder. Zurzeit düst sie in atemberaubender Geschwindigkeit durch ihre Heimatstadt München: von den Hausaufgaben der beiden Kinder zum Hörgerätesäubern bei der Mutter, zum Medikamentebesorgen für die Schwiegermutter, zum Elternabend der Schule und zwischendrin in ein Redaktionsbüro, wo sie ihren Lebensunterhalt verdient. Fürs eigene Alter hat sie zwei Pläne. Erstens: ignorieren. Zweitens: Demenz unter Palmen – im Altersheim in Thailand.
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