Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
Möglicherweise gingen sie dabei ähnlich vor, wie es weiland der amerikanische Magier John Mulholland der Konkurrenz von der CIA beigebracht hatte (siehe S. 52). Wenige Stunden nach der Begegnung mit Lugowoi und Kowtun zeigt Litwinenko erste Symptome, die sich in den nächsten Tagen verstärken. Am 17. November wird er in die Londoner Universitätsklinik eingeliefert, zunächst tippen die Toxikologen (wie bei Wolfgang Welsch) auf eine Thallium-Vergiftung. Die Antiterror-Einheit von Scotland Yard stellt ihn auf der Intensivstation unter Polizeischutz. Der russische Geheimdienst weist jeden Vorwurf zurück, er habe irgendetwas mit der Sache zu tun. Ein Italiener, mit dem Litwinenko nach dem Treffen in einer Sushi-Bar zu Mittag gegessen hat, nennt ihn und sich selbst geheimnisvoll eine hochgefährdete Person, ohne auf Details einzugehen. Am 21. November ahnt Litwinenko, dass es mit ihm zu Ende geht, er schreibt einen Brief an seinen Vater, voller Beschuldigungen an die Adresse Putins. Einen Tag später kommt es bei ihm zu einem plötzlichen Blutdruckabfall; der Chef der Intensivmedizin nennt seinen Zustand lebensbedrohlich, glaubt aber nicht mehr an eine Thallium-Vergiftung. Am 23. November 2006 um 21.21 Uhr Ortszeit stirbt Alexander »Sascha« Litwinenko. Erst wenige Stunden vor seinem Tod ist das radiotoxische Polonium-210 in hoher Konzentration in einer Urinprobe entdeckt worden.
Ohne Überlebenschance: Der russische Dissident Alexander Litwinenko wurde im November 2006 mit dem extrem toxischen Polonium-210 vergiftet, das auch mit dem seltsamen Tod von Jassir Arafat genau zwei Jahre zuvor in Verbindung gebracht wird.
Scotland Yard beginnt mit umfangreichen Ermittlungen. Der Albtraum der Toxikologen ist ein Traum für die Fahnder. Der Täter muss sich bei der Verabreichung des Giftes im Hotel oder schon vorher mit Polonium kontaminiert haben. Jedenfalls hat er eine unverwischbare Spur durch London hinter sich hergezogen, der die Polizei jetzt einfach folgen muss. Wo immer er sich aufhielt, in Hotelzimmern, Restaurants, Taxis, Flugzeugen, wann immer er Hände schüttelte, Lichtschalter bediente, mit Banknoten bezahlte, stets verteilte er winzigste Mengen des Stoffes. Scotland Yard kann den Weg des Killers aus Moskau nach Londonund seinen dortigen Aufenthalt gewissermaßen wie mit einem Geigerzähler rekonstruieren. Die entsprechenden Airlinetickets und Kreditkartenbelege weisen alle in die gleiche Richtung: Andrej Lugowoi. Mehr noch: Die um Hilfe gebetene amerikanische Bundespolizei FBI kann sogar das Muster von Verunreinigungen in jenem Polonium-210 identifizieren, mit dem Litwinenko umgebracht worden ist. Es stammt offenbar aus einem russischen Reaktor.
Zurück in Moskau, begeben sich auch Lugowoi und Kowtun in ärztliche Behandlung, weil sie kontaminiert sind. Allerdings erweist sich ihre Belastung als wenig gravierend, sie bleiben lediglich unter medizinischer Beobachtung. Beide dementieren energisch, etwas mit dem Mord zu tun zu haben. Wie aber sonst soll die Spur des radiotoxischen Poloniums-210 aus Moskau nach London (Lugowoi) und aus Moskau über Hamburg nach London (Kowtun) erklärt werden? Er bestreite die radioaktive Spur nicht, gibt sich Andrej Lugowoi im März 2007 in einem Interview mit der Zeitschrift Stern selbstbewusst, »trotzdem habe ich Litwinenko nicht umgebracht. Ich habe doch selbst zum ersten Mal gehört, was das überhaupt ist, Polonium«.
Die britische Justiz ließ sich von dem Wortgeklingel nicht beeindrucken. Im Mai 2007 verkündete Sir Ken Macdonald, Direktor der Anklagebehörde Crown Prosecution Service , es gebe ausreichende Gründe und ein starkes öffentliches Interesse, Andrej Lugowoi wegen Mordes an Alexander Litwinenko anzuklagen. Er verlangte die Auslieferung des Beschuldigten aus Russland. Die britische Regierung unterstützte das Ersuchen, was zu schweren diplomatischen Erschütterungen zwischen London und Moskau führte. Der Kreml war empört und lehnte das Ansinnen kategorisch ab. Die britische Regierung entschied daraufhin, vier russische Diplomaten auszuweisen. Russland zog nach und ließ überdies zwei zum Foreign Office gehörende Kultureinrichtungen schließen.
Ein Ermittlungsverfahren gegen Dimitri Kowtun in Hamburg wurde im November 2009 aus Mangel an Beweisen eingestellt. Der meldete sich daraufhin zu Wort, er sei erleichtert, dass die Gerechtigkeit gesiegt habe. Aber es handelte sich nur um einen Etappensieg. Im Februar 2012 entschied der Crown Prosecution Service
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