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Lob der Grenze - Kritik der politischen Unterscheidungskraft

Lob der Grenze - Kritik der politischen Unterscheidungskraft

Titel: Lob der Grenze - Kritik der politischen Unterscheidungskraft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul-Zsolnay-Verlag
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Kreatur, und wenn die Worte Himmel und Erde ein Inbegriff aller Kreatur sind, sage ich getrost: Ehe Gott Himmel und Erde machte, machte er nichts.« 1
    Das Nichts, das Gott machte, ist ernst zu nehmen. Wo nichts gemacht wird, ist auch Nichts. Damit hat Augustinus eine erste Antwort auf die Frage nach der Zeit gegeben. Nämlich: Die Zeit ist kein ewiges Prinzip, die Zeit ist Moment, Ausdruck und Resultat der Schöpfung. Es gibt keine Schöpfung in der Zeit, sondern nur eine Schöpfung der Zeit, vor der Schöpfung hat Gott also nichts gemacht, weil die Frage nach einem Davor sinnlos ist. Vorher war nichts, weil ohne Zeit die Frage nach einem Davor oder Danach gegenstandslos ist. Es war buchstäblich nichts; es wurde erst etwas, als geschaffen worden war – dann aber entstand eines nach dem anderen. Mit der Schöpfung wurde auch Zeit geschaffen. Modern gesagt: Die Zeit ist selbst eine Funktion des Universums. Die Frage, was war vor dem Urknall, ist genau so unsinnig wie die Frage, was tat Gott, bevor er Himmel und Erde schuf, denn vor dem Urknall, der »Schöpfung«, hat es, so zumindest eine kosmologische Theorie, keine Zeit gegeben. Es gab, so Augustinus, kein Davor , sondern das, was vorher war, war Ewigkeit : Augustinus bestimmt Ewigkeit nicht als unendliche Zeitdauer, sondern als das Außerhalb-von-Zeit-Sein. Ewigkeit ist das Zeitlose, das Nicht-Zeitliche, deshalb das nicht zu Verzeitlichende.
    Der Anfang konstituiert die Zeit. Mit der Zeit aber werden jene elementaren Grenzen konstituiert, die es uns erlauben, ein Jetzt, ein Davor und ein Danach zu unterscheiden. Erst wenn angefangen wurde, kann es weitergehen. Und es ging weiter, indem neue Unterschiede und damit Grenzen gesetzt wurden: Sonne und Mond, Adam und Eva, Tier und Mensch, Kain und Abel. Und jeder dieser Unterschiede bestimmt sich dadurch, dass der eine nicht der andere ist. Die Grenze dazwischen kann sehr weiträumig gedacht sein wie bei Sonne und Mond, sie kann auch sehr eng sein wie bei Adam und Eva, und sie kann in einer fatalen Weise auch überschritten werden wie bei Kain und Abel.
    Betrachtet man die Ereignisse in der Zeit als Differenz, hervorgerufen durch die Zeit, landet man als erster Ursache immer beim absoluten Anfang. Ohne Schöpfung, ohne Urknall gäbe es uns nicht, nicht die Guten und nicht die Bösen. Aber was heißt es überhaupt, mit etwas zu beginnen? Und wann beginnt etwas? Und vor allem: Warum beginnt etwas? Was bedeutet es, eine Grenze zwischen Sein und Nichts, und damit den Unterschied schlechthin zu setzen?
    Bei Augustinus, Hannah Arendt hat darauf aufmerksam gemacht, findet sich auch folgender Satz: »[Initium] ergo ut esset, creatus est homo, ante quem nullus fuit« – Damit ein Anfang sei, wurde der Mensch geschaffen, vor dem es niemand gab. 2 Der Anfang, so ließe sich der Gedanke komprimieren, wurde gemacht, damit ein Anfang sei. Arendt unterlegt diesem Gedanken eine streng anthropologische Deutung: Wer im Kontinuum einer Entwicklung unbewusst eingebunden ist, hat keinen Anfang und kann keinen Anfang machen. Der Mensch ist das einzige Wesen, das anfängt und deshalb anfangen kann. Einen Menschen zu schaffen, heißt, eine Welt zu schaffen, in der immer wieder – von neuem – angefangen werden kann. Das genau beschreibt Hannah Arendts Philosophie der Natalität, die als verschwiegener Gegenentwurf zu Martin Heideggers Dasein zum Tode entworfen worden war. Immer von neuem anfangen zu können, heißt aber: immer eine neue Differenz zu setzen. Denn das Neue wäre nicht, wenn es nicht den Unterschied zum Alten in sich trüge – oder zumindest behauptete.
    Hannah Arendt unterschied in ihrem philosophischen Hauptwerk Vita activa drei Grundformen menschlicher Aktivität, die an entsprechende Überlegungen von Aristoteles anschließen: Arbeiten, Herstellen und Handeln. Diese »Grundtätigkeiten« und die ihnen entsprechenden Bedingungen sind nun nach Arendt nochmals mit der fundamentalen Bedingtheit der menschlichen Existenz verbunden: Geburt und Tod, Natalität und Mortalität: Alles Bearbeiten der Natur, alles Herstellen von Werkzeugen, Gegenständen und Bauwerken, alles Handeln in einer Gemeinschaft von Menschen kann auch aufgefasst werden als Versuch, der Sterblichkeit etwas entgegenzusetzen: Die Arbeit »sichert das Am-Leben-Bleiben des Individuums und das Weiterleben der Gattung: das Herstellen errichtet eine künstliche Welt, die von der Sterblichkeit der sie Bewohnenden in gewissem Maße unabhängig ist und so ihrem

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