Lob der Stiefmutter
Und dabei hatten ihr die Freundinnen prophezeit, daß dieser Stiefsohn das größte Hindernis sein würde, daß sie seinethalben mit Rigoberto niemals glücklich werden könnte. Bewegt küßte auch sie ihn, auf die Wangen, auf die Stirn, auf das zerwühlte Haar, während vage, wie von ferne, ohne daß sie es richtig gewahrte, ein anderes Gefühl ihren ganzen Körper durchdrang und sich vor allem an jenen Stellen konzentrierte – den Brüsten, dem Bauch, den Oberschenkeln, dem Hals, den Schultern, den Wangen –, die sich mit dem Kind berührten. »Hast du mich wirklich sehr lieb?« fragte sie, während sie sich zu befreien suchte. Aber Alfonsito ließ sie nicht los. Er hängte sich nur noch mehr an sie, während er ihr mit heller Stimme antwortete: »Unheimlich lieb, Stiefmutter, dich am allermeisten.« Dann nahmen seine kleinen Hände sie bei den Schläfen und bogen ihren Kopf zurück. Doña Lukrezia spürte kleine rasche Küsse auf der Stirn, auf den Augen,auf den Augenbrauen, auf der Wange, auf dem Kinn … Als die schmalen Lippen die ihren streiften, preßte sie verwirrt die Zähne aufeinander. Wußte Fonchito, was er da tat? Sollte sie ihn zurückstoßen? Aber nein, nein, was konnte schlecht sein am übermütigen Geflatter dieser ausgelassenen Lippen, die sich zwei-, dreimal, während sie die Geographie ihres Gesichtes durchirrten, einen winzigen Augenblick lang auf die ihren legten und sie gierig preßten.
»Schön, und jetzt wird geschlafen«, sagte sie schließlich, während sie sich aus den Armen des Kindes löste. Sie bemühte sich, unbefangener zu wirken, als sie war. »Sonst kommst du morgen nicht aus dem Bett und zur Schule, mein Kleines.«
Das Kind nickte und legte sich hin. Es strahlte sie an, mit geröteten Wangen und verzücktem Gesicht. Wie konnte etwas Schlechtes an ihm sein! Dieses reine, kleine Gesicht, seine fröhlichen Augen, sein kleiner Körper, der sich unter den Laken zurechtkuschelte und zusammenrollte, waren sie nicht die Verkörperung der Unschuld? Verdorben bist du, Lukrezia! Sie deckte ihn zu, richtete das Kopfkissen gerade, küßte ihn auf die Haare und knipste die Nachttischlampe aus. Als sie das Zimmer verließ, hörte sie ihn zwitschern:
»Ich werde Klassenbester, und das ist dann mein Geschenk für dich, Stiefmutter!«
»Versprochen, Fonchito?«
»Ehrenwort!«
Während Doña Lukrezia in der komplizenhaften Intimität der Treppe zum Schlafzimmer zurückkehrte, spürte sie, daß sie von Kopf bis Fuß glühte. ›Das ist doch kein Fieber‹, dachte sie benommen. War es möglich, daß die unschuldige Zärtlichkeit eines Kindes sie so erregte? Du verdirbst allmählich, meine Liebe. Ob dies das erste Zeichen des Alters war? Denn soviel war gewiß: sie stand in Flammen, und ihre Beine waren naß. Schäm dich, Lukrezia, schäm dich! Und plötzlich schoß ihr die Erinnerung an eine frivole Freundin durch den Kopf, die bei einer Teegesellschaft, auf der Gelder für das Rote Kreuz gesammelt wurden, rote Gesichter und nervöses Kichern an ihrem Tisch ausgelöst hatte, als sie erzählte, sie brenne wie eine Fackel, wenn sie nackt mit einem kleinen Patensohn die Siesta halte und sich von ihm den Rücken kraulen lasse.
Don Rigoberto lag rücklings auf der granatroten Bettdecke, die mit einem Muster in Form von Skorpionen bedruckt war, nackt. In dem dunklen Zimmer, das kaum erhellt wurde vom Widerschein der Straße, zeigte seine lange weißliche Gestalt mit Haaren auf Brust und Schamhügel keine Regung, während Doña Lukrezia sich die Slipper abstreifte und an seine Seite schlüpfte, ohne ihn zu berühren. Ob ihr Mann schon schlief?
»Wo warst du?« hörte sie ihn murmeln, mit der gedehnten, trägen Stimme des Mannes, der aus prickelnder Erwartung heraus spricht, eine Stimme, diesie so gut kannte. »Warum hast du mich verlassen, mein Herz?«
»Ich war bei Fonchito, um ihm einen Kuß zu geben. Er hat mir einen Geburtstagsbrief geschrieben, das kannst du dir nicht vorstellen. Fast hätte ich geweint, so liebevoll ist er.«
Sie erriet, daß er sie kaum hörte. Sie spürte, wie die rechte Hand Don Rigobertos ihren Oberschenkel streifte. Er glühte wie eine kochendheiße Kompresse. Seine Finger wühlten ungeschickt in den vielen Falten ihres Nachthemdes. ›Er wird merken, daß ich ganz naß bin‹, dachte sie verlegen. Es war ein flüchtiges Unbehagen, denn die gleiche heftige Welle, die sie plötzlich auf der Treppe erfaßt hatte, kehrte in den Körper zurück und stellte alle ihre
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