Lolita (German)
Mutter gestohlen -, einen süßlichen, billigen Moschusduft. Er mischte sich mit ihrem eigenen Biskuitgeruch, und meine Sinne waren auf einmal bis zum Rand gefüllt; ein plötzliches Geraschel in einem nahen Gebüsch hinderte sie am Überfließen - und als wir auseinanderfuhren und mit schmerzenden Pulsen auf das horchten, was wahrscheinlich eine wildernde Katze war, kam vom Haus her die rufende, immer aufgeregter ansteigende Stimme ihrer Mutter - und Dr. Cooper humpelte gewichtig in den Garten hinaus. Aber dieser Mimosenhain, der Sternenschleier, das Prickeln, die Flamme, der Honigtau und die Qual blieben in mir, und jenes ldeine Mädchen mit den vom Meer polierten Gliedern und der glühenden Zunge verfolgte mich immer seither - bis ich sie zuletzt, vierundzwanzig Jahre später, in einer anderen verkörperte und so ihren Zauber bannte.
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Wenn ich mich zu jenen Tagen meiner Jugend zurückwende, kommt es mir vor, als flögen sie in immer gleichen bleichen Fetzen von mir fort, ähnlich dem morgendlichen Gestöber benutzten Kreppapiers, das ein Eisenbahnreisender im Aussichtswagen hinter sich wegwirbeln sieht. Bei meinen hygienischen Beziehungen zu Frauen war ich fortan praktisch, ironisch und bündig. Als Student in London und Paris genügten mir bezahlte Damen. Mein Studium war peinlich genau und intensiv, wenn auch nicht sonderlich ergiebig. Zuerst hatte ich vor, Psychiatrie zu meinem Prüfungsfach zu machen, wie so viele nicht ganz hinreichend Begabte es tun; aber bei mir reichte es noch weniger; eine merkwürdige Erschöpfung - Herr Doktor, ich bin so bedrückt - stellte sich ein, und ich wechselte zur englischen Literatur über, bei der so viele verhinderte Dichter als pfeiferauchende Lehrer in Tweed) acken enden. Paris sagte mir zu. Ich diskutierte Sowjetfilme mit Emigranten. Ich saß mit Uranisten im Café Deux Magots. Ich veröffentlichte verquälte Essays in obskuren Blättern. Ich verfaßte Pastiches:
... Fräulein von Kulp
mag sich wenden, die Hand an der Tür;
ich folge weder Fresca noch ihr
und auch nicht der Möwe.
Einer meiner Artikel, Das Prousi-Thema in einem Brief von Keats an Benjamin Bailey, wurde von den sechs oder sieben Literaten, die ihn lasen, mit Schmunzeln aufgenommen. Ich nahm im Auftrag eines Verlags mit großem Namen eine Histoire abrégée de la poésie anglaise in Angriff und begann, das Handbuch der französischen Literatur für englischsprachige Studenten (mit vergleichenden Auszügen aus der englischen Literatur) zusammenzustellen, das mich bis zum Ende der vierziger Jahre beschäftigen sollte - und dessen letzter Band beinahe druckfertig war, als man mich verhaftete.
Ich fand eine Stelle als Englischlehrer einer Erwach-senengruppe in Auteuil. Danach unterrichtete ich ein paar Winter lang in einer Knabenschule. Ab und zu benutzte ich die Bekanntschaft, die ich mit Sozialarbeitern und Psychotherapeuten angeknüpft hatte, um in ihrer Begleitung allerlei Einrichtungen wie Waisenhäuser oder Besserungsanstalten zu besuchen, wo man dichtbewimperte, blasse, in der Pubertät befindliche Mädchen mit so völliger Straffreiheit anstarren durfte, wie es einem sonst nur in Träumen erlaubt ist.
Hier möchte ich folgenden Gedanken vortragen. Zwischen den Altersgrenzen von neun und vierzehn gibt es Mädchen, die gewissen behexten, doppelt oder vielmal so alten Wanderern ihre wahre Natur enthüllen; sie ist nicht menschlich, sondern nymphisch (das heißt dämonisch); und ich schlage vor, diese auserwählten Geschöpfe als «Nymphchen» zu bezeichnen.
Man wird bemerken, daß ich Raumbegriffe durch Zeitbegriffe ersetze. Ich möchte nämlich, daß der Leser «neun» und «vierzehn» als Grenzen - spiegelnder Strand und rötliche Felsen - einer verzauberten Insel sieht, auf der diese meine Nymphchen ihr Wesen treiben, umgeben von einem weiten, dunstigen Meer. Sind innerhalb der angegebenen Altersgrenzen alle Mädchenkinder Nymphen? Natürlich nicht. Sonst hätten wir, die Eingeweihten, wir einsamen Wanderer, wir Nympholeptiker längst schon den Verstand verloren. Das hübsche Außere ist ebenfalls kein Kriterium, und Vulgarität, oder was man in gewissen Kreisen darunter versteht, beeinträchtigt bestimmte geheimnisvolle Merkmale auch nicht unbedingt: die Koboldgrazie, den ungreifbaren, verschmitzten, seelenzerrüttenden, heimtückischen Zauber, die das Nymphchen von seinen Altersgenossinnen unterscheiden, welche unvergleichlich stärker in der Raumwelt synchroner Erscheinungen zu Hause sind
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