London Road - Geheime Leidenschaft (Deutsche Ausgabe)
man es nicht sofort sieht.«
Mir kamen die Tränen, als ich sah, wie sich Cams Züge beim Lächeln entspannten. Plötzlich empfand ich eine unbändige Freude. Ich freute mich für Cam. Ich freute mich für ihn, weil er in seinem Leben so viel Liebe erfahren hatte. »Dein Vater muss ein toller Mensch sein.« Wenn ich als Kind nur annähernd so viel Liebe bekommen hätte, wäre ich eine vollkommen andere Person geworden.
Cam nickte. »Meine Eltern sind beide toll.« Dann schaute er hoch zur Zimmerdecke. Selbst aus diesem Winkel sah ich, wie sein Blick sich verfinsterte. »Manchmal braucht es Tage wie diesen, damit ich es nicht vergesse.«
»Du rufst sie bestimmt gleich an, sobald ich weg bin, was?«
Er warf mir ein kleines Lächeln zu. Ihm war die Röte ins Gesicht gestiegen, und der Anblick versetzte mir einen Stich. »Wahrscheinlich«, gestand er.
»Ich freue mich für dich, Cam.« Ich strich nervös mein Kleid glatt. Es war immer noch dasselbe wie gestern Abend. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn man nicht weiß, wer die eigenen Eltern sind. Aber ich weiß genau, was es heißt, von den zwei Menschen, die einen eigentlich lieben sollten, im Stich gelassen zu werden. Das ist ein ziemlich beschissenes Gefühl. Ich hätte mein Leben sofort gegen deins eingetauscht, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken.«
Unter Cams scharfem Blick konnte ich mich kaum rühren. »Und was für ein Leben war das?«
Meine Hände zitterten, als ich mir erneut den Stoff über den Knien glattstrich. »Die Einzige, die wirklich was über mich weiß, ist Joss.«
»Nicht Malcolm? Nicht Ellie?«
»Nein. Nur Joss. Ich will nicht, dass sonst jemand davon erfährt.«
»Das ist aber eine ziemlich schwere Last, die du da mit dir rumträgst.«
»Cam.« Ich beugte mich vor und sah ihm mit tränenfeuchten Augen ins Gesicht. Mein Puls beschleunigte sich, während ich zu entscheiden versuchte, ob ich ihm vertrauen sollte oder nicht. »Ich …«
»Jo.« Er lehnte sich mir entgegen. Er wirkte so ernst, dass ich mich unwillkürlich verkrampfte. »Was ich dir gerade erzählt habe – über die Adoption und das Tattoo –, das wissen auf der ganzen Welt nur eine Handvoll Menschen. Mum, Dad, Peetie und Nate. Und jetzt du. Du und ich, wir machen heute einen Neuanfang. Ich bin nicht mehr das Arschloch, das dir wieder und wieder mit Vorurteilen begegnet. Vertrau mir. Bitte.«
»Warum?« Ich schüttelte den Kopf. Ich begriff einfach nicht, weshalb er sich so für mich interessierte. Natürlich gab es da diese sexuelle Anziehung zwischen uns, auch wenn wir sie uns nicht eingestehen wollten – aber das hier war anders. Intensiver … Und dabei wäre ich jede Wette eingegangen, dass nichts intensiver sein konnte als die Art, wie Cams Nähe jede Faser meines Körpers zum Leben erweckte.
Er machte eine unbestimmte Kopfbewegung. »Ganz ehrlich? Ich weiß es auch nicht genau. Ich weiß nur, dass ich noch nie in meinem Leben einen Menschen so schlecht behandelt habe wie dich, und dabei kenne ich niemanden, der es weniger verdient hätte. Ich mag dich, Jo. Und ob du es zugeben willst oder nicht, du brauchst einen Freund.«
Schon wieder diese verdammten Tränen. Ich holte zitternd Luft und wandte den Kopf ab. Dabei fiel mein Blick auf den großen Schreibtisch in der Ecke des Zimmers. Darauf lehnte ein Zeichenbrett mit einer Skizze, allerdings konnte ich nicht erkennen, was sie darstellte. Ich starrte mit zusammengekniffenen Augen darauf, während ich mir darüber klarzuwerden versuchte, ob ich Cam wirklich etwas sagen sollte.
»Wo ist eigentlich dein Vater, Johanna? Wieso musst du Cole alleine großziehen?«
»Keine Ahnung, wo er jetzt ist.« Ich schaute wieder zu Cam. Ob man mir ansehen konnte, wie elend mir innerlich zumute war? »Er war gewalttätig.«
Sofort spannte sich Cams Unterkiefer an, und seine Finger umklammerten den Kaffeebecher fester. »Gegenüber dir und Cole?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe Cole vor ihm beschützt. Cole erinnert sich nicht mal mehr an ihn. Er weiß auch nichts davon, dass Dad mich geschlagen hat.«
Cam stieß einen halblauten Fluch aus und senkte dann den Blick, als müsse er mich vor der Kraft seines Zorns schützen. Irgendwie tat es mir gut, dass er so wütend war. Es tat mir gut, jemanden gefunden zu haben, der etwas Ähnliches empfand wie ich. Was ich ihm gerade offenbarte, wusste nicht einmal Joss.
»Seit wann?«
»Schon seit ich klein war.« Die Worte schienen mir einfach
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