Lord Schmetterhemd im wilden Westen
Ich beginne zu
berichten
Lange
wollte ich es nicht glauben. Endlich aber mußte ich Cookie 1 Pott doch recht geben: es spukte in
Bloodywood-Castle 2 . Nein, es war nicht nur
der feuchte Wind, der an den Fensterläden rüttelte, durch Schlüssellöcher
heulte und wehklagend um die Giebel strich oder im Schornstein ächzte. Cookie
Pott ist mein Butler 3 , mein Kammerdiener,
Koch, Gärtner, Zimmermädchen, Schloßverwalter und Vertrauter in allen Lebenslagen
und von Kindesbeinen an. Ja, ich darf sagen, er ist mein Freund.
Er
war es auch, der mich dazu veranlaßte, diese Geschichte aufzuschreiben. Unsere
Unterhaltung fand eines Nachts statt, und zwar in meinem Kaminzimmer. Es war
eine der unfreundlichen, kühlen Nächte, neblig und gottverlassen, wie sie in
unserem nördlichen Schottland häufig sind, nicht nur im Herbst und Winter,
sondern auch — wie jetzt — , ehe der Frühling kommt. Doch im Kamin prasselte
und krachte das Feuer. Wenn allerdings der Wind in den Schornstein drückte, war
die Halle voll von beißendem Qualm. Über die Wände mit den vergilbten Tapeten
zuckten die dunklen Schatten der Möbel, der ehrwürdigen Standuhr, der
stumpfsilbernen Ritterrüstung. Sie trieben ihr irres Spiel sogar an der gebräunten
Holzdecke. Bloodywood-Castle war kein Aufenthaltsort für Leute mit schwachen
Nerven.
»Schreiben
Sie alles auf, was geschehen ist und noch geschieht«, sagte Cookie Pott mit
eigentümlich rauher Stimme, während er mir ein Glas blutroten Portweins einschenkte.
»Schreiben Sie es auf, Mylord, ich wette, das wird eine tolle Geschichte .«
Ich
trank einen Schluck und antwortete: »Cookie, ich werde meine Leser enttäuschen.
Ich bin kein Mann der Feder, wenn ich selber auch gerne lese...«
»O
ja«, brummte Cookie, »vor allem die verflixten Indianerbücher und Geschichten
aus dem Wilden Westen .«
Ohne
seine Kritik zu beachten, fuhr ich fort: »Auch von meinen Vorfahren habe ich
sicher keine Begabung für die Dichtkunst geerbt. Das waren alles edle
Raufbolde...«
»Edle ?« fragte Cookie gedehnt mit einem spöttischen Lächeln, das
sein rundes Gesicht noch mehr in die Breite zog. Das Lächeln verging ihm jedoch
sofort, denn es rumpelte seltsam über uns, und das Geschirr im Schrank klirrte.
»Das
kam aus Mylords Schlafzimmer .«
»Es
scheint, als fühle sich der Rumpler durch deine Zweifel am edlen Charakter
meiner Vorfahren beleidigt«, sagte ich. Wie zur Bekräftigung tat es an der
Decke einen dumpfen Schlag.
Cookie
murmelte: »Oh, Verzeihung !«
Da
es nun ruhig blieb, sprach ich weiter. »Meine Vorfahren waren also wohl eher
verwegene, kühne Fechter...« doch gleich hielt ich wieder inne, denn nun war
deutlich ein unterdrücktes Kichern zu hören.
»Auch
das scheint nicht ganz zutreffend zu sein«, brummte ich.
Cookie
Pott raunte mir zu: »Mylord, Sie erregen heute Anstoß. Wenn das keine tolle
Geschichte ist !«
Ich
trank bedächtig das Glas Portwein aus. Das Getränk war schwer und würzig. Ich
fühlte, daß es mich entspannte. Übrigens genoß ich es nicht alleine. Cookie
Pott bediente sich selbst ausgiebig. Wir beide schluckten also, und dann sagte
ich: »Leider werde ich aber auch aus anderen Gründen keine Möglichkeit haben,
die Spukgeschichten aus Bloodywood-Castle zu schreiben. Ich beabsichtige
nämlich, mit dir zu verreisen .«
»Zu
verreisen ?« Cookie seufzte. »Wohin soll es denn gehen,
Mylord ?«
»In
den Wilden Westen«, antwortete ich gleichmütig.
Jetzt
blickte mich Cookie Pott starr an. »Die verflixten Indianerbücher! Und warum?
Mylord, was wollen Sie bei den Indianern, Trappern und Cowboys ?«
»Ich
werde den Wilden Westen fotografieren .«
»Diese
Leidenschaft, mit dem schweren Kasten auf dem dreibeinigen Stativ
herumzuziehen, habe ich noch nie begriffen«, murrte Cookie. »Wie um alles in
der Welt sind Sie auf einen so ausgefallenen Gedanken gekommen ?«
»Der
alte Samuel Pinch 4 hat mir heute
geschrieben...«
»Ach,
wäre er doch lieber in seinem Kellergewölbe, in all seinem vergammelten Kram
erstickt. Was wollte der alte Knabe ?«
»Das
werde ich morgen erfahren. Er machte geheimnisvolle Andeutungen. Vielleicht hat
er nur neue Stücke für meine indianische Sammlung erhalten, einen prächtigen
Federschmuck, Pfeil und Bogen, Mokassins oder Amulette. Aber ich habe noch eine
andere Hoffnung. Du weißt ja, daß ich mich für die Spuren der versunkenen
Kulturen des neuen und doch so alten Erdteils interessiere, für indianische
Gräber... Ich möchte
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